Nobis, 
		Margarete
		►
		Liebenswerte alte Dame in Winnekendonk | * 1903 | † 1990 
		
		
Bis 
		Mitte der 1980er-Jahre stand an der Ausfallstraße von 
		Winnekendonk nach Kapellen am Ortsausgang ein altes, vom Verfall 
		bedrohtes Haus, das sich mittlerweile in ein schmuckes, neues 
		Einfamilienhaus verwandelt hat. 
		
		
Margarete 
		Nobis beim 
		Brennholz-Schneiden. 
		
		Jahrelang fuhren Autos an der „Bruchbude“ vorbei, ohne etwas von dem 
		Schicksal zu ahnen, das sich dort ereignete. 
		
		Um die alte, verschlossene Frau, die hier hauste, kümmerte sich niemand 
		- bis auf den evangelischen Pfarrer und die Leute von der städtischen 
		Bauaufsicht: Sie verbretterte einen Teil des baufälligen Hauses. Nun 
		hatte die alte Frau keine Toilette mehr.
		
		Die KB-Redaktion hörte davon, sah sich an Ort und Stelle um und 
		veröffentlichte im März 1981 den folgenden Bericht, der die Überschrift 
		hatte: „Kevelaerer, wir brauchen ein paar Helfer oder eine Wohnung“:
		
		► Winnekendonk - Die Frau 
		ist 78, das Haus noch viel älter. Margarete Nobis versorgt sich trotz 
		ihrer kriegsbedingten Schwerbeschädigung selbst, so gut wie nur wenige 
		in diesem hohen Alter. Der ehemals weiße Kotten, das letzte Haus links, 
		wenn man Winnekendonk verlässt und gen Kapellen strebt, könnte ein 
		idealer Alterssitz sein - wenn das Haus im hinteren Teil nicht baufällig 
		wäre. Die Bauaufsicht hat diesen Teil verbrettert und gesperrt. Nun hat 
		die Frau keine Toilette mehr.
		
		Es klingt nach Skandal, aber bei näherer Prüfung ist alles schrecklich 
		„normal“: Die Bruchbude hinten, wo die sanitäre Anlage sich befindet, 
		droht einzustürzen, folglich muß die Bauaufsicht einschreiten, um ein 
		Unglück zu verhindern.
		
		Dass Margarete Nobis nunmehr ohne Toilette ist, sehen die Männer vom 
		Bauamt sehr wohl, und es ist ihnen keineswegs egal. Sie informieren das 
		Sozialamt, erklären, ein neues Klo müsse her. Aber die Vorschrift 
		besagt, daß ohne ordentliches Dreikammersystem kein amtlicher Segen zu 
		erhalten ist.
		
		Da haben wir die Crux: Das Sozialamt kann - natürlich nicht - für über 
		10.000 Mark ein solches Klein-Klärsystem in ein Haus einbauen lassen, 
		das der Stadt nicht gehört. Es will die alte Frau aber auch nicht gegen 
		ihren Willen aus ihrer häuslichen Umgebung herausreißen. Und eine 
		Wohnung, zu ebener Erde gelegen, in der sie zusammen mit ihrem Dackel 
		„Mecki“ und ihrem Kater leben kann, haben weder das Sozialamt, noch der 
		evangelische Pfarrer >
		
		Volker Raettig, der sich um Frau Nobis bemüht, bisher gefunden.
		
		Die Lösung wäre Altersheim, aber für eine solche „Lösung“ müssten wir uns 
		alle schämen: Frau Nobis wird mit ihrem Haushalt und sich selbst allein 
		fertig, möchte auch allein leben, und wer ihr, was bei einer 
		Altersheimeinweisung zwangsläufig die Folge wäre, die beiden Tiere 
		wegnimmt, der nimmt ihr das einzige, woran ihr Herz hängt. Es muss doch 
		möglich sein, eine normale Kleinwohnung für die 78-Jährige in Kevelaer zu 
		finden.
		
		Besser und schöner wäre es für Frau Nobis, wenn sie in dem Häuschen 
		weiter leben dürfte. Der Hausbesitzer hat, was durchaus verständlich 
		ist, aus Haftungsgründen gekündigt, so dass Frau Nobis dort praktisch auf 
		„eigene Gefahr“ wohnt.
		
		Kolpingsöhne, Ihr seid doch handwerklich begabt: Wie wäre es, wenn - mit 
		Zustimmung des Hausbesitzers und in Absprache mit dem Kevelaerer Bau- 
		und Sozialamt - dort an einem Wochenende mal eine ehrenamtliche Kolonne 
		anmarschiert! Pfarrer Raettig von der evangelischen Kirchengemeinde 
		kennt die häuslichen Verhältnisse bestens und wird den richtigen Rat 
		schon wissen. Zunächst müsste eine Toilette installiert werden, deren 
		Entsorgung in ein Auffangbecken münden könnte. Pumpwagen der Stadt 
		müßten dann regelmäßig vorfahren, und das wäre ein vergleichsweise 
		geringer Aufwand und billiger als ein Altersheimplatz.
		
		Und dann gibt es am und im Haus einiges zu tun, was geschickte Leute im 
		Handumdrehen erledigt haben können.
		
		Das weiße Häuschen am Ortsausgang von Winnekendonk ist ein Testfall für 
		uns. Wir dürfen nicht zulassen, dass im Widerstreit von Paragraphen und 
		Vorschriften die Menschlichkeit abhanden gerät. Es spricht für die 
		Einstellung der Kevelaerer Beamten, dass sie „stillhalten“ und nicht 
		„blind“ das ausführen, was Paragraphen vorschreiben.
		Margerete Nobis, deren Mann vor drei Jahren an Lungenkrebs gestorben 
		ist, ist eine liebenswerte alte Frau. Sie hängt an ihren Tieren, an dem 
		kleinen Garten, und freut sich ihres Lebens. Lassen wir uns was 
		einfallen, damit es so bleibt.“ 
		Schon in der nächsten Ausgabe konnte das KB melden: „Sieben junge Leute 
		halfen“. Kräftige junge Männer aus Winnekendonk und Wetten, darunter 
		Schüler und Studenten, machten „Nägel mit Köppen“ und putzten und 
		werkten das ganze Wochenende in dem Haus von Margarete Nobis, die 
		überglücklich war. Helfer sahen, was sonst noch im Haus fehlte. In Kürze 
		waren eine Couch und zwei Lampen „organisiert“. Sessel und Kühlschrank, 
		so versprachen die jungen Leute, würden bald folgen. Auch die KAB 
		Winnekendonk bot der Frau ebenfalls tatkräftige Hilfe an. 
		
		
Vier Jahre später, am 29. März 1985, stand auf der 
		Seite 1 des KB zu lesen: „Der alte Kotten steht leer - wo ist Frau 
		Nobis?“  
		
		Es hatte sich herausgestellt, dass die Hilfsaktion mit dem Ziel, die 
		alte Frau in ihrem Häuschen weiterhin wohnen zu lassen, letztlich an der 
		leidigen Toilettenfrage gescheitert war. Der Hausbesitzer hatte seinen 
		baufälligen Kotten aufgegeben, das Sozialamt aber durfte und konnte 
		keine 10.000 Mark in ein Dreikammersystem für die Abwässer des Hauses 
		investieren. 
		
		Nach der ersten Hilfsaktion blieb alles, wie es war. Niemand wollte die 
		Frau vertreiben, weder der Hausbesitzer, der ihr aus Rechtsgründen zwar 
		gekündigt hatte, aber keine Zwangsräumung betrieb, noch die Leute vom 
		Amt, die darauf Rücksicht nahmen, daß Margarete Nobis sich nicht von 
		ihrem Dackel und ihrer Katze trennen wollte. Lieber nahm sie die 
		Beschwernisse in dem fast unbewohnbaren Haus auf sich. Hier hatte sie 
		mit ihrem Mann gelebt, der auf dem Winnekendonker Friedhof begraben ist.
		
		
		„Wir lassen sie in Ruhe“ - so war die Losung. Und darüber waren vier 
		Jahre ins Land gezogen. Zuweilen sah man Margarete Nobis vor ihrem Haus 
		an einer Kreissäge stehen, mit deren Hilfe sie sich Brennholz 
		zurechtschnitt. 
		
		Vielleicht wäre es noch eine gewisse Zeit so weiter gegangen, wenn nicht 
		im Januar 1985 besonders strenger Frost eingesetzt hätte. Frau Nobis 
		mußte ihm Haus bleiben, die Tiere bekamen keinen Auslauf mehr, das 
		Wasser fror ein, hilfreiche Nachbarn brachten es in Eimern - das Leben 
		von Frau Nobis spielte sich nur noch im Bett ab. Ihre Tiere waren gut 
		ernährt, sie selbst nicht. 
		
		Sie willigte schließlich ein, ins Weezer Theresienstift zu gehen, von wo 
		aus sie im Januar 1986 ins Katharinenhaus Winnekendonk wechseln konnte, 
		nachdem ein Platz frei geworden war. „Mir geht es gesundheitlich wieder 
		besser“, sagte sie der KB-Redaktion, als wir uns dort nach ihr 
		erkundigten. Sie war damals 82 Jahre alt. 
		
		Bestens versorgt von den guten Händen im Katharinenhaus, wo sie sich 
		inzwischen wohl fühlte, starb sie vier Jahre später - 1990 - im Alter 
		von 86 Jahren. 
		
		
Über ihre Herkunft war damals fast nichts bekannt. Erst 
		21 Jahre nach ihrem Tod konnte Martin Willing die Geschichte der 
		Eheleute Nobis nachzeichnen. Margarete, die 
Grete gerufen 
		wurde, war mit Andreas verheiratet, einem Spätheimkehrer aus russischer 
		Gefangenschaft, der durch die Entbehrungen zum Invaliden geworden war.
		
		
		Andreas Nobis hatte seine Grete nach der Entlassung kennengelernt und 
		geheiratet. Mit ihr hatte er sich in Winnekendonk eine bescheidene 
		Existenz aufgebaut. Was er nicht wusste: Er war Vater einer Tochter. 
		Deren Mutter, die Andreas im Herbst 1944 zum letzten Mal gesehen hatte, 
		war schwanger geworden und hatte im Juni 1945 in der sowjetisch 
		besetzten Zone - in Cottbus - die kleine Renate geboren. 
		
		Andreas Nobis war bereits mit Grete verheiratet, als er durch ein 
		amtliches Schreiben 1952 erfuhr, dass seine als verschollen geltende 
		Verlobte in der DDR lebte - mit der gemeinsamen, nun siebenjährigen 
		Tochter.
		
		Andreas nahm brieflich Kontakt auf, aber an ein Wiedersehen war nicht zu 
		denken: Weder durfte er in die DDR einreisen, noch konnten Mutter und 
		Tochter zu Besuch kommen. Erst 1973 begegneten sich Vater und Tochter 
		zum ersten Mal. Renate, inzwischen verheiratet und Mutter zweier Kinder, 
		hatte eine Besuchserlaubnis bekommen. Ihre beiden schulpflichtigen 
		Kinder hatte sie nicht mitnehmen dürfen. Sie wurden, wie in solchen 
		Fällen üblich, als „Rückreisegarantie“ wie Geiseln in der DDR 
		zurückgehalten. 
		
		Wenige Jahre nach dieser Begegnung, Anfang 1978, starb der krebskranke 
		Mann. Er ließ Grete Nobis allein in der Kate zurück, dort wo 1981 
		hilfsbereite Winnekendonker auf die liebenswerte alte Dame aufmerksam 
		wurden.
		