Stange, Franz-Josef
		►
		Kaplan in St. Marien 
		Kevelaer | * 1954 | † 1995
		
		
		
		Die 
		Pfarrgemeinde St. Marien ist voll der Freude. Der junge Kaplan, der 
		gerade seinen Dienst aufgenommen hat, macht einen sympathischen 
		Eindruck und tritt locker auf. „Ich gehe gerne unter die Leute und 
		trinke auch mal ein Bier mit ihnen. Gerade zu den Jugendlichen einer 
		Gemeinde darf die Distanz eines Kaplans nicht zu groß sein“, sagt 
		Franz-Josef Stange im ersten Gespräch mit dem KB. 
		
		Der 36-jährige Münsteraner hat einen „eigenen Kopf“ und zieht nach wenigen Tagen 
		aus dem Priesterhaus in eine separate Wohnung im 
		Don-Bosco-Heim. In ihr richtet sich der Kino- und Musikfreund gemütlich 
		ein und freut sich seines Lebens. 
		
		„Ich möchte meine Eigenständigkeit behalten“, sagt er. „Ein Priester, 
		der in einer Gemeinde lebt, muss für jeden erreichbar sein. 
		Wer zu mir kommen möchte, kann dies gerne tun, auch ohne 
		Anmeldung an der Pforte des Priesterhauses.“ Und dann sagt er: „Ich 
		hoffe, dass die Kevelaerer meinen Stil akzeptieren.“ 
		
		Was er bisher von St. Marien kennen gelernt hat, macht ihm Mut und 
		Freude. „Es ist eine sehr motivierte und aktive Gemeinde. Sie hat das 
		Bedürfnis, Gemeinschaft zu erfahren. Deshalb ist es für mich als Kaplan 
		wichtig, mit ihr einen gemeinsamen Weg zu gehen.“ Er betont das 
		Gemeinsame, das sein kurzes Leben bestimmen und die Herzen der Menschen 
		in St. Marien öffnen wird.  
		
		Als gelernter Bankkaufmann hat Franz-Josef Stange mit 24 Jahren ein 
		Theologiestudium in Münster begonnen - angeregt durch die Jugendarbeit, 
		die ihm so wichtig ist. 1985 wird er in Altenoythe, einem kleinen Dorf 
		im Oldenburger Land, zum Diakon geweiht. Die Priesterweihe erhält er 
		1986. In Oldenburg, wo er bis zu seiner Versetzung nach Kevelaer tätig 
		ist, unterstützt er den Arbeitskreis „Gerechtigkeit, Friede, Bewahrung 
		der Schöpfung“, in dem er über vier Jahre lernt, wie man mit wenigen 
		Mitteln wirksam arbeiten kann. In St. Marien wird dem Kaplan die gesamte 
		Jugendarbeit übertragen. Wichtig ist ihm auch der Aufbau von 
		Beziehungen zu jungen Familien. 
		
		Er braucht den Draht zu den Mädchen und Jungen nicht zu suchen, er hat 
		ihn, kann denken und leben wie sie. Sonntags ist er in den 
		Kindergottesdiensten an der Friedenstraße zu Hause, „alltags“ in den 
		Sorgen und Problemen von Jugendlichen und Kriegsdienstverweigerern.
		
		„Es ist nicht seine Sache, groß zu diskutieren“, wird später sein Freund 
		Georg Fedke über ihn sagen. Stange ortet ein Problem und räumt es aus 
		dem Weg. „Er sieht Lösungen oft unmittelbar.“ Gibt es in der Not für ihn 
		nichts zu tun, behält er sein heiteres Wesen. Not gehört für ihn 
		zum Menschsein. Kann er allerdings helfen, tut er es mit ganzem 
		Herzen und ganzem Einsatz. Georg Fedke: „Er holt die Menschen da ab, wo sie stehen“, will 
		sie nicht an der Hand halten, sondern sie auf die Füße stellen. 
		
		Und er spricht nicht drumherum. Als einer der jungen Autoren der Rubrik 
		„Bedenkliches“ im Kevelaerer Blatt nimmt er Mitte Oktober 1991 offen zum 
		„Fall Eugen Drewermann“ Stellung: 
		„Seit Anfang der 
		80er-Jahre steht Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann im 
		Kreuzfeuer von begeisterter Zustimmung und heftigster Ablehnung. Nun ist 
		ihm vom Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die 
		Lehrerlaubnis an der Theologischen Fakultät in Paderborn entzogen worden 
		wegen seiner Äußerungen zu Amt und Kirche, der Jungfrauengeburt und der 
		Abtreibung.
		
		Bekannt wurde Eugen Drewermann als ein Theologe, der mit Hilfe der 
		Psychoanalyse tiefenpsychologische Deutungen des christlichen Glaubens 
		wagte. Er hat die Welt der Bilder in der Bibel, aber auch in den Märchen 
		neu entdeckt und interpretiert. So hat er auch versucht, das 
		Markusevangelium tiefenpsychologisch auszulegen. Ziel seiner Auslegung 
		ist es, aus den Texten des Evangeliums ‘Bilder von Erlösung’ zu erheben, 
		die dem Menschen helfen sollen, sein eigenes Leben neu zu verstehen. Er 
		möchte den Menschen aus dem Getto der Angst herausholen. Jesus sei 
		gekommen, die Menschen von der Angst zu befreien. ‘Jesus erlöst die 
		Menschen, indem er sie erfahren läßt, daß Angst die falsche Haltung 
		ist.’
		
		Solche Worte machen mir als Christ und Theologe Mut. Um so bedenklicher 
		finde ich es, daß Eugen Drewermann keinen Platz mehr in unserer Kirche 
		hat. Aber gerade ein Seelsorger, dem es darum geht, den Menschen Mut zum 
		Glauben, Mut zum Leben zu machen, muß seinen Platz in unserer Kirche 
		haben. (...)“ 
		Dann kommt der 2. Februar 1995. 
		Um 16 Uhr schlägt die Totenglocke der Basilika. Viele Kevelaerer wissen: 
		Ihr Kaplan ist gestorben. 
		Menschen bleiben in den Straßen stehen. Beklemmend stille Sekunden folgen. 
		Plötzlich dröhnt aus dem Turm 
		der Marienkirche wuchtig, festlich und froh das volle Ostergeläut.
		
		
		Tod und Auferstehung - für wen 
		liegen sie enger beieinander als für einen Geistlichen? Dennoch unfassbar ist 
		für viele Pfarrangehörigen, dass ihr Kaplan „Franjo“ Stange nicht mehr 
		lebt. Er hat eine Lungenentzündung verschleppt.  
		
		Sein Freund Georg Fedke erinnert sich an die erste 
		Begegnung: „Er stand da in einem bunt gestreiften Pullover. Wir sahen 
		uns an und waren gleich ,per Du‘“. Franz-Josef Stanges Leben hat wenig 
		mit äußeren Werten zu tun gehabt. „Seine Wohnung sah aus wie eine 
		Studentenbude“. Die Jugendarbeit war seine Welt. 
 
		In seiner Primizpredigt 1990 hatte der Geistliche sich einen Gedanken 
		von Jeremias zum Leitwort gewählt: Er wolle sich Neuland unter den Pflug 
		nehmen. „Er zog in Kevelaer Furche um Furche“, meinte Pastor
		
		Richard Schulte Staade nach Stanges Tod und behielt das Bild bei. „Jetzt hat er 
		sich selbst in die letzte Furche gelegt.“ Die Saat könne aufgehen. In 
		einem Nachruf auf ihren Kaplan sagten die Jugendlichen von St. Marien 
		ihrem Franjo: „Wir werden in Deinem Sinne weitermachen.“ 
		
		Auf die Frage nach dem „Warum mit 40 Jahren?“ sagte Schulte Staade, nicht die Menschen 
		hätten das Maß zu setzen. Kaplan Franz-Josef 
		Stange habe ungewöhnlich intensiv „und immer nach vorn drängend“ gelebt.
		
		
		„Die Nützlichkeit eines Lebens liegt nicht in seiner Länge, sondern in 
		seiner Anwendung“, schrieb Michel de Montaigne vor mehr als vier 
		Jahrhunderten. Und der 
		Kevelaerer Pastor sagte: „Jeder stirbt am Ende seines Lebens.“ 
		
		Als 1996 für Franz-Josef Stange das erste Jahresamt in der Festmesse zum 
		Lichtmesstag begangen wurde, war sein Grab auf dem Kevelaerer Friedhof, 
		wo er, wie er es in seinem Testament gewünscht hatte, begraben liegt, 
		immer noch geschmückt. Es trägt auch einen 
		Gedenkstein, auf dem Franz-Josef Stanges Lieblingsgedanke, das 
		Gotteszeichen des alten Testaments, gezeigt wird. 
		
		Es ist der Regenbogen, der an das Gotteswort nach der großen Flut 
		erinnert: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.“
		
			
				
		  | 
			
		
		
			
				
		  |