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Dichterin in Wetten | * 1921 | † 1997
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Als sie 26 Jahre alt war, versagten ihre Nieren. Das war 1947. 
		Sie fiel in ein Koma, wachte ohne Gedächtnis auf, wußte nicht, wer ihre 
		Eltern waren, wie sie hieß, woher sie kam. Langsam kehrte die Erinnerung 
		zurück; doch ihre Augen konnten dabei nicht helfen: Sie war erblindet. 
		Seither hat sich Sophie Tangermann-Düngen mit dem Sehen beschäftigt, mit 
		dem Licht, hat Gedichte geschrieben, die um die Kunst kreisen, die 
		großen und kleinen Schönheiten der Welt wahrzunehmen.
		
		An ihrem 75. Geburtstag besuchte das Kävels Bläche die Dame, deren 
		Gesicht noch immer keine Falten zeigte und deren Haar bis zum Schoß 
		reichte: Ein glücklicher Tag mit Freunden und Nachbarn vom Kasteelenbend 
		in Wetten, ein glücklicher Tag nach vielen unglücklichen Wochen, in 
		denen sie den Tod ihres Mannes Karl annehmen mußte. Sie erlitt einen 
		Zusammenbruch, kam seither nicht mehr auf die Beine, konnte nicht 
		laufen, lag im Bett, zog endlich (nach längerem Heimaufenthalt) in ein 
		Zimmer im Wohnstift St. Marien in der 
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		Luxemburger Galerie.
		
		„Ich suche immer das Gute“, sagte Sophie Tangermann-Düngen und klang, 
		obwohl sie ihre wochenlange Krankheit als schweres Leid empfand, nicht 
		verhärmt, sondern hoffnungsvoll: „Vielleicht schaffe ich es hier in den 
		Rollstuhl“.
		
		Sophie Tangermann-Düngen hörte feiner als viele andere Menschen, sie 
		spürte sie mit ihrer Haut, auch wenn sie sie gar nicht berührten. „Ich 
		weiß, wenn mich jemand ansieht. Und ich weiß, ob jemand, der mit mir 
		spricht, die Wahrheit sagt“.
		
		Sie entdeckte im Ton Nuancen von Gereiztheit, von Aufgeregtheit, 
		Ungeduld, Fremdheit, hörte Wärme und Zuneigung. Das innere Sehen hatte 
		sie immer als Reichtum empfunden, als Privileg gegenüber Menschen, die 
		sich auf das nackte Ansehen verlassen. Das „Augen-Merk“ der alten Dame 
		fiel hinter die Fassaden.
		
		Am liebsten schrieb Sophie Tangermann-Düngen Gedichte, nicht mit Stift 
		und Papier, sie zeichnete sie in ihrem Gedächtnis auf, konnte die 
		kleinen und großen Werke rezitieren, die sie vor Jahrzehnten gereimt 
		hatte. Sie tat dies mit getragener, leicht vibrierender Stimme, hatte so 
		schon ganze Säle lauschender Menschen und Zuhörer einer Rundfunksendung 
		nachdenklich gemacht.
		
		Sie arbeitete mit eingängigen Bildern, vom Sehen mit den Augen und vom 
		Sehen mit dem Herzen, von den vielen wertvollen Dingen des Lebens, die 
		jemand, der ihre Fülle nicht erblicken kann, vielleicht stärker 
		empfindet, vor allem den Reichtum in der Natur. Den hatte sie intensiv 
		vor ihrem inneren Auge.
		
		Vater und Mutter waren Schiffseigner (heute sind es die Kindeskinder in 
		fünfter Generation), sie hatten einen Schleppkahn, mit dem sie durch die 
		Kanäle und über den Rhein zogen. Das Steuerrad war liegend verankert. 
		Die kleine Sophie durfte sich in das Rund setzen, wurde manchmal, wenn 
		der Fluß eine Biegung machte, vom Vater leicht hin und und her gedreht. 
		„Links und rechts an den Ufern zogen Schlösser und Burgen vorbei“, Berge 
		und Bäume, Kühe und Dörfer. Es gab keine Hektik, keine Unruhe und für 
		Sophie viel Zeit zur Muße, zum Schauen und Staunen. Ihre Augen durften 
		sich satt sehen. Das taten sie auch an Büchern. Als Kind nannten ihre 
		Eltern sie liebevoll Lesephiechen statt Sophiechen.
		
		Als sie erblindete, erlebte sie den Verlust ihrer Sehkraft, die so viel 
		Schönes erblickt hatte, als Katastrophe. Sie brauchte 16 Jahre, um 
		Lebensmut zu schöpfen. Die gelernte Sekretärin kämpfte hartnäckig für 
		eine Umschulung, wurde zur Stenotypistin ausgebildet, arbeitete 22 Jahre 
		lang im Rheinhausener Rathaus, heiratete mit 51 Jahren, baute in Wetten 
		am Kasteelenbend ihr Haus, an dem sie sehr hing, das sie gleichwohl 
		verkaufen mußte. Mit Gottvertrauen wollte sie - nach dem Tod ihres 
		Mannes - erneut einen Anfang schaffen.
		
		Und mit ihren Gedichten: „Denn das sind meine Ventile“.
		
		Sieben Monate nach dem Besuch des Kävels Bläche ...
		
		Das KB hatte ein Gedicht von Sophie Tangermann-Düngen veröffentlicht, 
		das sie als Nachruf auf den verstorbenen Jacques Cousteau und seine 
		untergegangene „Sirius“ verfaßt hatte. Darin hieß es: „In dem Wrack 
		ruhen Schätze seit Urväter Zeiten, auf der Suche nach ihnen wird der Tod 
		mich begleiten“. 14 Tage später, Ende Juli 1997, verstarb Sophie 
		Tangermann-Düngen. 
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