MARTIN WILLING
		Kevelaer und die NS-Zeit
		Die „dunklen Jahre" in der Stadt, die Hitler zum Ehrenbürger ernannt
		
		Der Anstoß, die Entwicklung Kevelaers während der 
		NS-Zeit aufarbeiten zu lassen, stammte von
		
Klaus Hölzle, dem 
		späteren SPD-Fraktionsvorsitzenden, und erfolgte anlässlich des 40. 
		Jahrestags des Zusammenbruchs der Hitler-Diktatur (8. Mai 1945). Als 
		sich der Kulturausschuss mit dem Vorschlag im Frühjahr 1985 befasste, 
		signalisierten die Vertreter aller Fraktionen grundsätzliche Zustimmung. 
		Ein anerkannter Historiker oder ein Doktorand solle mit der 
		Forschungsarbeit beauftragt werden. 
		
		
		
Neujahrsrundgang
		1986 (v.l.): Dezernent Edgar Zappe, Dr. Klaus Hölzle, Reinhard 
		Thoenissen und Hans 
		Broeckmann.
		
		Anfang August publizierte ich im Kävels Bläche meine Fragen und Bedenken 
		zu dem Projekt. Sie wurden zum Teil missverstanden, so als wäre ich 
		gegen die Aufarbeitung. Ich hatte Sorge, dass das Projekt misslingen 
		würde: Weil es zur NS-Zeit in Kevelaer keinen Verbrecher von 
		monsterhaften Ausmaßen gegeben hat - das wüsste man längst, weil es 
		spätestens nach Kriegsende bekannt geworden wäre -, könnte ein Autor nur 
		die „kleinen Fälle“, das Handeln der Mitläufer, Schweiger und 
		unkritischen Vollzugsbeamten, darstellen. Das aber würde das Dritte 
		Reich eher verharmlosen als erhellen.
		
		Ich habe mich später, als ich im Kevelaerer Blatt meine eigene Arbeit 
		über die NS-Zeit in vielen Fortsetzungen veröffentlichte und sie im 
		Sommer 1995 als Buch („Kevelaers dunkle Jahre“) herausgab, von diesen 
		Bedenken leiten lassen: Die Vorgänge in Kevelaer wurden nicht für sich 
		allein gelassen, sondern immer in den Kontext des Gesamten gestellt. 
		Zeitgleich mit den lokalen Ereignissen wurden die wichtigsten 
		Entwicklungsstufen des Hitler-Reichs geschildert, so dass der Leser am 
		Beispiel Kevelaers Einsichten in das Gesamte gewinnen konnte. 
		
		Meine Befürchtung, dass bei dem vom Stadtrat zu vergebenen Auftrag eine 
		auf Kevelaer beschränkte, im Stil und mit den Zwängen einer Doktorarbeit 
		geschriebene „lokale NS-Geschichte“ herauskommen könnte, wurde noch 
		größer, als der Kulturausschuss das Projekt im Herbst 1985 erneut 
		behandelte: Nun sollte sich die Arbeit nicht auf die NS-Jahre 
		beschränken, sondern das Reich unter Kaiser Wilhelm II. einschließen.
		
		
		Die Stadt verhandelte inzwischen mit dem Institut für neuere Geschichte 
		an der Universität Duisburg. Dessen Leiter hatte angeboten, seinen 
		wissenschaftlichen Mitarbeiter, Dr. Johannes-Dieter Steinert (Jahrgang 
		1955), für die Aufgabe abzustellen. Der Auftrag wurde vergeben 
		(Honorarkosten: rund 70.000 Mark), und Steinert machte sich an die 
		Arbeit, bei der auf über 400 Seiten „Kevelaer - Eine niederrheinische 
		Region zwischen Kaiserreich und Drittem Reich“ beschrieben wurde. 
		
		Im Februar 1988 meldete das KB, dass das Manuskript von Steinert 
		vorliege. Der Kulturausschuss wolle sich mit dem Autor zusammensetzen, 
		das Manuskript mit ihm besprechen sowie Auflagenhöhe und 
		Gestaltungsfragen diskutieren. Das Buch sei „flüssig und lesbar 
		geschrieben“, äußerte sich Stadtdirektor
		
Heinz Paal. 
		
		Andere Rezensenten aus dem kleinen Kreis privilegierter Erstleser des 
		noch unveröffentlichten Buchmanuskripts waren weniger begeistert. 
		Projekt-Initiator Klaus Hölzle sprach sogar davon, er sei nach der 
		Lektüre „rundum enttäuscht“. 
		
		
Das Buch war dürftiger ausgefallen als gehofft und 
		saftloser als befürchtet. Und dann sollte das Manuskript auch noch 
		hinter verschlossenen Türen besprochen werden.
		
		Hölzle wehrte sich vergebens dagegen, dass das Publikum den Ratssaal 
		verlassen musste. Dafür bestünde nicht der geringste Grund. Zusammen mit 
		seinem Fraktionskollegen Winfried Janssen reichte er später beim 
		Verwaltungsgericht in Düsseldorf Feststellungsklage ein. Im Dezember 
		schlossen die Stadt und Klaus Hölzle allerdings einen Vergleich, teilten 
		sich die Kosten des Verfahrens und beendeten das Kapitel.
		
		Warum sich die Türen des Ratsaals für die Öffentlichkeit geschlossen 
		hatten, war ungeklärt geblieben. Schmutzige Wäsche wurde in jener 
		Sitzung des Kulturausschusses nicht gewaschen, Skandalöses brachte das 
		Werk von Steinert auch nicht an den Tag - allenfalls Peinliches: Denn 
		das Auge des Lesers fiel auf viele Rechtschreibfehler. 
		
		
		
Johannes-Dieter 
		Steinert, Kevelaer - Eine niederrheinische Region zwischen 
		Kaiserreich und Drittem Reich, erschienen 1988.
		
		Steinerts Werk, das im Winter 1988 als Buch auf den Markt kam, war 
		gleichwohl eine nützliche Fleißarbeit, die aus den zugänglichen Archiven 
		schöpfte. Freilich - seitenlang befasste er sich mit dem Leben von 
		Schweinen und Kühen im Raum Kevelaer, aber die Frage, wie die Menschen 
		hier lebten, kam zu kurz. Wichtige Zusammenhänge blieben gerade für den 
		geschichtlichen Laien, der das Buch später lesen sollte, ungeklärt. In 
		Ermangelung ortsbezogener Dokumente spielte beispielsweise der Pogrom in 
		der Nacht im November 1938 („Reichskristallnacht“) nicht einmal eine 
		Nebenrolle in Steinerts Buch, obwohl die Synagogen-Brandschatzungen in 
		den Nachbarstädten Geldern und Goch zur gemeinsamen Geschichte am 
		Niederrhein zählen. 
		
		In dem Buch wurde außerdem unzureichend gewürdigt, dass der 
		Marienwallfahrtsort, anders als viele auswechselbare Kleinstädte und 
		trotz des auch hier nachzuweisenden Mitläufertums, in den „dunklen 
		Jahren“ eine Zufluchtstätte für viele Menschen im weiten Umkreis war. 
		Zwar bestand kaum ein Unterschied zu anderen Gemeinden dieser 
		Größenordnung darin, wie sich auf der politischen und administrativen 
		Ebene der braune Mief ausbreitete und die „kleinstädtische 
		Machtergreifung“ in den Rathäusern zuweilen so gar komische Züge annahm. 
		Aber als religiöses Zentrum für einen großen Einzugsbereich bot der 
		Marienwallfahrtsort in der NS-Zeit die Sicherheit einer letzten Insel.
		
		
		Und hier gab es auch die Brand-Andachten, zu denen jeden Abend auf dem 
		dunklen Kapellenplatz Menschen kamen, die einer waffenstarrenden Umwelt 
		den Rosenkranz entgegenhielten. Wenn wir darüber hinaus an die 
		ungezählten Kopien des Kevelaerer Gnadenbildes denken, die in den 
		Uniformen der Soldaten an allen Fronten steckten, dann ahnt man, was für 
		eine stille und wichtige Rolle Kevelaer in den dunklen Jahren spielte.
		
		
		Nicht nur für die Einheimischen, sondern für die ganze katholische 
		Kirche in Deutschland wuchs unserer Marienwallfahrtsort über Normalität 
		weit hinaus, indem Clemens August von Galen für die Zusammenkünfte von 
		Bischöfen häufig das Priesterhaus auswählte, wo sein Freund und 
		geistlicher Bruder Wilhelm Holtmann Hausherr war. Hier in Kevelaer wurde 
		während des Dritten Reichs Kirchengeschichte geschrieben, denn wie die 
		Geistlichkeit auf das Vordringen des Nazitums reagieren wollte, das 
		wurde hinter den verschlossenen Türen des ältesten Steinhauses am 
		Kapellenplatz bedacht und beschlossen. 
		
		
Die Kevelaerer Gesellschaft der 1930er-Jahre bot 
		denkbar „schlechte“ Voraussetzungen für die nach Macht und Einfluß 
		strebenden Nationalsozialisten. Bis 1932 bekam hier gegen die 
		katholische Zentrumspartei niemand ein Bein auf die Erde. Auch 1933 
		erlangte das Zentrum in den Kreisen Kleve und Geldern die absolute 
		Mehrheit. Es beherrschte die politische Szene, die sich aber - schwer zu 
		greifen und zu beeinflussen - eher in lockeren Verbänden wie 
		Nachbarschaften, Stammtischen oder Kegelclubs entwickelte. Eine klar 
		überschaubare Organisation, die einfach zu beobachten und schließlich 
		„auf einen Schlag“ zu vernichten wäre, bildeten die ungezählten 
		Zentrum-Anhänger nicht. 
		
		Beeinflusst wurde der politische Meinungsbildungsprozess durch das auf 
		die katholische Partei ausgerichtete „Kevelaerer Volksblatt“, das Kävels 
		Bläche, das noch 1933 - da hatte die NSDAP bei Kommunalwahlen immerhin 
		schon 31 Prozent der Stimmen erobert - in bemerkenswerter Deutlichkeit 
		gegen die Nazis anschrieb. Aber auch das Kävels Bläche wurde mit Druck 
		„angepasst“. Diese erzwungene Radikalisierung der Zeitung des Kevelaerer 
		Verlegers, der in der zweiten Generation das Verlags- und Druckhaus in 
		der Marienstadt führte, war die folgenschwerste Untat der Nazis in 
		Kevelaer und Umgebung der 1930er-Jahre. Auf diese Zäsur für die 
		Meinungsbildung der Kevelaerer Bürger ging Steinert in seinem Buch aber 
		kaum ein. 
		
		
Sechs Jahre nach der Buchveröffentlichung begann das 
		Kevelaerer Blatt mit der Veröffentlichung seiner Serie „Kevelaer 
		1933-1948 - Kevelaers dunkle Jahre“, in der ich sämtliche verfügbaren 
		Dokumente und Veröffentlichungen zum Thema heranzog, verarbeitete und um 
		eigene Forschungen ergänzte. Vor allem war sie eine lückenlose 
		Chronologie aller Ereignisse von 1933 bis 1948 - eine Datenfülle, die 
		bei vergleichbarem Satz dreimal soviel Umfang hatte wie das 
		Steinert-Buch über einen sehr viel größeren Zeitraum. 
		
		Fakten waren also vorhanden. Vor allem wurden sie in einer Sprache 
		dargeboten, die Zugang zu den Kevelaerern fand. Der überwältigende 
		Zuspruch zu dieser zweijährigen Serie und dem anschließend erschienenen 
		Buch zeigte sich in vielen dankbaren Äußerungen. Die Leser stellten 
		immer wieder einen besonderen Punkt heraus, nämlich endlich einmal 
		erfahren zu haben, was in den Kriegsjahren, als die meisten Männer an 
		der Front waren, in der Heimat geschehen ist. 
		
		

Das 
		Echo war überaus stark: Zu keiner Zeit in der langen Geschichte des 
		Kävels Bläche wurden mehr KB-Exemplare verkauft als während dieser 
		Periode. Die Serie, gedruckt auf 112 Zeitungsseiten im halben Format 
		(DIN A 4), wurde anschließend gebunden als Buch herausgegeben. Es war 
		nach wenigen Wochen vergriffen.
		
		
Martin Willing, Kevelaer 
		1933 - 1948 - Kevelaers dunkle 15 Jahre, erschienen 1995 im KB-Verlag.
		
		Die Reaktionen auf die Serie waren bewegend. In Briefen, Anrufen und 
		Gesprächen unter vier Augen schilderten Kevelaerer ihre 
		Kriegserlebnisse. Sie erzählten von Gesprächen, die nun in ihren 
		Familien aufgekommen seien. Manche räumten ein, dass sie zum ersten Mal 
		seit dem Krieg über ihre persönlichen Erfahrungen vor Dritten sprachen. 
		Unter den Anrufern war ein alter Mann. Er sagte, dass er bis zum Beginn 
		der Serie nicht gewusst habe, wie das Leben während der „dunklen Jahre„ 
		in seiner Heimatstadt Kevelaer abgelaufen sei. Nach seiner Rückkehr habe 
		niemand mehr über die vergangenen Schrecken sprechen wollen; heute seien 
		die Schilderungen in der Serie für ihn wie eine späte Befreiung.
		
		Ich hatte jahrelang für diese Serie recherchiert und meterweise 
		Fachliteratur gelesen. Für die Sammlung und Auswertung des immer 
		umfangreicher werdenden Materials programmierte ich mit Hilfe einer 
		Datenbank ein digitales Archiv, aus dem schließlich mein Kevelaer-Archiv 
		entstand, das heute so umfangreich ist wie kein zweites.
		
		In den folgenden Jahren stieß ich auf so viele neue, noch nicht 
		veröffentlichte Informationen aus jener Zeit, dass ich dem Stoff ein 
		zweites Mal eine große Arbeit widmen wollte. Im März 2003, fast zehn 
		Jahre nach dem Start der ersten Serie, begann ich im Kevelaerer Blatt 
		mit dem Werk „Kevelaers dunkle Jahre“, das von der ersten bis zur 
		letzten Zeile neu geschrieben war. Nach 142 Teilen endete die zweite 
		Serie im Dezember 2005.
		
		Auch das zweite Werk „Kevelaers dunkle Jahre“ war so konzipiert, dass 
		die Leser über die lokalen Ereignisse hinaus stets auch den großen 
		historischen Kontext, in dem sie sich ereigneten, nachvollziehen 
		konnten. Mein Ziel war es, dass der Leser mit Hilfe von „Kevelaers 
		dunkle Jahre“ auch die größeren Zusammenhänge im nationalsozialistischen 
		Deutschland verstand.
		
		
Dass die Aufarbeitung der NS-Zeit noch lange nicht abgeschlossen ist, 
		erfuhren die Kevelaerer am 16. Mai 2003 aus dem Kävels Bläche: Ich 
		veröffentlichte den Bericht „Adolf Hitler - Ehrenbürger der Stadt 
		Kevelaer seit 1933 - Eine Aberkennung des Ehrenbürgerrechts hat nie 
		stattgefunden“. Nicht alle, aber viele Städte hatten 1933 Adolf Hitler 
		die Ehrenbürgerrechte verliehen. Dass Hitler auch in Kevelaer zum 
		Ehrenbürger ernannt worden war, hätte in dem Steinert-Buch „Kevelaer - 
		Eine niederrheinische Region zwischen Kaiserreich und Drittem Reich“ 
		erstmals nach dem Krieg publiziert werden können. Aber dieser Teil des 
		Ratsbeschlusses vom 11. April 1933 war in dem 1988 von der Stadt 
		herausgegebenen Buch unterschlagen worden, wie ich nun belegen konnte.
		
		
		Der vom Rathaus bezahlte Autor musste um die Ehrenbürgerschaft Hitlers 
		gewusst haben: Er verfügte über die entscheidende Quelle, nämlich die 
		Niederschrift der Sitzung vom 11. April 1933; außerdem bezog sich der 
		Wissenschaftler auf einen Artikel des Kävels Bläche vom 14. April 1933, 
		in dem über die einstimmig beschlossene Verleihung der Ehrenbürgerrechte 
		an Hindenburg und Hitler dezidiert berichtet wurde. Steinert zitierte 
		einiges aus diesem KB-Bericht, aber nicht den Passus mit der 
		Ehrenbürgerschaft - eine schwerwiegende Weglassung, von wem auch immer 
		verursacht oder veranlasst.
		
		Ausdrücklich hatte der Stadtrat wissenschaftlichen Anspruch an das 
		Buchprojekt reklamiert - und führte ihn gleichzeitig ad absurdum, indem 
		er ein Redaktionsgremium Einfluss auf Struktur und Inhalt des 
		Historiker-Werks hatte nehmen lassen. So verschenkte Kevelaer die 
		Chance, noch vor der etwa 1990 einsetzenden Welle von Ratsbeschlüssen in 
		deutschen Rathäusern, Hitler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen, tätig 
		zu werden. Kevelaer hätte sich dann im Vergleich zu anderen Städten 
		„früh“ distanziert, nachdem es 1933 eine der ersten Gemeinden gewesen 
		war, die Hindenburg und Hitler mit dem Ehrenbürgerrecht ausstatteten.
		
		Eine Ehrenbürgerschaft erledigt sich nicht mit dem Tod des Inhabers von 
		selbst. Der Verleihung liegt immer ein förmlicher Beschluss zu Grunde, 
		der ebenso wie die Ehrenbürgerliste eine historische Tatsache bleibt, 
		die sich auch nach dem Tod des Ehrenbürgers einer kulturhistorischen 
		Würdigung nicht einfach entziehen kann. Weil mit dem Tod keineswegs 
		„alles erledigt“ ist, gibt es in mancher kommunalen Satzung Richtlinien, 
		die regeln, in welchen Fällen das Ehrenbürgerrecht aberkannt werden 
		kann. Gehandelt hatten zum Zeitpunkt meiner Veröffentlichung der 
		Hitler-Ehrenbürgerschaft u.a. Berlin, Bitterfeld, Hamburg und 
		Braunschweig: Sie hatten Hitler die Ehrenbürgerschaft förmlich 
		aberkannt. 
		
		Die Nachricht von Hitlers Ehrenbürgerschaft war nach Erscheinen des 
		Kävels Bläche Stadtgespräch. „Das kann doch nicht wahr sein!“ - so 
		hörten wir immer wieder. Mir verschlug etwas anderes die Sprache: 
		Bürgermeister Heinz Paal hatte nach eigenen Angaben davon gewusst, es 
		aber nicht für wichtig genug gehalten, um tätig zu werden. Das machte 
		den historischen Fehlgriff von 1933 im Nachhinein noch schlimmer. 
		Andere Politiker wussten davon nichts und reagierten betroffen. 
		
		
• Norbert 
		Killewald (SPD): „Als ich im KB von der Ehrenbürgerwürde für Hitler las, 
		war ich schockiert. 58 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs - 
		und immer noch Ehrenbürger, das ist eine Schande; die Ehrenbürgerschaft 
		muss schleunigst aberkannt werden!“ Er plädiere dafür, weder in eine 
		Diskussion einzusteigen, noch spitzfindige Rechtsfragen zu debattieren, 
		die doch nur vom Thema ablenkten und in Dutzenden Kommunen längst 
		durchgekaut seien. „Es kommt jetzt darauf an, ein klares, politisches 
		Signal zu setzen und zu sagen: Weg mit der Ehrenbürgerschaft!“ 
		
		
• CDU-Fraktionschef Franz Wustmans sagte: „Für mich ist der Sachverhalt 
		vollkommen neu.“ Er habe noch keine Vorstellung, wie man das faktisch 
		aus der Welt schaffen könne. Dass es aus der Welt müsse, sei 
		unzweifelhaft. Der Gedanke, dass Bürger, die im Inneren „braun“ 
		geblieben seien, eine Ehrenbürgerschaft für Hitler missbrauchen könnten, 
		sei ihm unerträglich: „Den Ewiggestrigen dürfen wir keine Plattform 
		bieten!“
		
		
• Heinz-Josef van Aaken (KBV) meinte: „Wenn Sie nicht über die 
		Ehrenbürgerschaft berichtet hätten, hätte keiner danach gefragt. Ich 
		hätte es besser gefunden, wenn Sie nichts geschrieben hätten.“ - 
		„Warum?“ - „Da kommen jetzt Dinge in die Welt, mit denen die 
		Gesellschaft längst ihren Frieden geschlossen hat. Ich persönlich würde 
		auch keinen Antrag einbringen, die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen.“
		
		
• 
		Karl-Heinz Kandolf (Bündnis-Grüne) sagte: „Ich war völlig überrascht von 
		der Nachricht. Die Ehrenbürgerschaft war mir gänzlich unbekannt. Es ist 
		klar, dass das keinen Bestand haben darf.“ Das müsse unabhängig von 
		rechtlichen Fragen rückgängig gemacht werden. Es gehe um ein eindeutiges 
		politisches Signal. 
		
		
• Klaus Sadowski, Sprecher der FDP-Fraktion, sagte: 
		„Für mich stellt sich die Frage, ob die Informationen zur 
		Ehrenbürgerschaft von Hitler im von der Stadt bezahlten Steinert-Buch 
		absichtlich ausgelassen worden ist. Das wäre starker Tobak.“ Er plädiere 
		dafür, Hitler die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen: „Eine Begründung 
		erübrigt sich“. Einen entsprechenden Antrag habe er bereits gestellt.
		
		Bürgermeister Paal hielt dagegen: „Die Ehrenbürgerschaft erlischt mit 
		dem Tod.“ Darum seien die KB-Berichterstattung und eine Aberkennung der 
		Ehrenbürgerschaft für ihn eigentlich kein Thema. Er arbeite aber daran, 
		die Sache im kommenden Hauptausschuss mittels „der Formulierung 
		abzuschließen, dass sich die Stadt davon distanziert. Ich habe die 
		Hoffnung, dass es keine große Debatte gibt, damit das möglichst schnell 
		vom Tisch kommt“. Einen Ratsbeschluss oder eine Resolution brauche man 
		nicht, da nichts rückgängig zu machen sei: „Mit dem Ableben sind die 
		Ehrenbürgerrechte weg. Das hat eine gewisse Logik.“ Und: „Als Ende der 
		90er-Jahre eine regelrechte Welle durch die Republik ging und Dutzende 
		von Gemeinden diese Fälle aufgerollt haben, da haben wir das auch für 
		Kevelaer prüfen lassen.“
		
		Das KB hakte nach: 
		
		
KB
		„Sie wussten, dass Hitler zum Ehrenbürger ernannt worden ist?“ 
		
		
PAAL
		„Ja, aber wir hatten keine Veranlassung, uns weiter mit dem Thema zu 
		beschäftigen. Nach meiner Aufassung war Adolf Hitler ja kein Ehrenbürger 
		mehr.“
		
		
KB
		„War das Thema bekannt, als Steinert Mitte der 80er-Jahre sein Buch 
		schrieb?“
		
		
PAAL
		„Meines Wissens nicht. Warum hätten wir die Information weglassen 
		sollen?“
		
		
KB
		„Und warum ist das Thema Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler dann Ende 
		der 90er-Jahre ‘weggelassen’ worden?“
		
		
PAAL
		„Es wurde so entschieden.“
		
		
KB
		„Wer hat das entschieden? Der Rat oder ein anderes Gremium?“
		
		
PAAL
		„Das wurde intern entschieden.“
		
		
KB
		„Verwaltungsintern?“ 
		
		
PAAL
		„Ja.“
		
		
Hitlers Macht lebte davon, dass er Informationswege systematisch 
		zerstörte. Um so dringlicher, selbstverständlicher hätte es für 
		Kevelaers Bürgermeister sein müssen, gerade zu diesem faschistischen 
		Verbrecher alle Informationswege zu öffnen. Es wäre ein Signal 
		demokratischer Sensibilität gewesen.
		
		Das erste Nachspiel fand am 27. Mai 2003 in der Sitzung des Haupt- und 
		Finanzausschusses statt. Die Niederschrift notierte: 
		
		
►
		„Die FDP-Fraktion hat mit Schreiben vom 17.05.2003 zu dem Bericht im 
		‚Kevelaerer Blatt‘ vom 16.05.2003 betr. Ernennung von Adolf Hitler zum 
		Ehrenbürger der Gemeinde Kevelaer im Jahre 1933 die nachstehenden Fragen 
		gestellt, die wie folgt beantwortet werden: 
		
		1. Gibt es seitens der Verwaltung Erkenntnisse, dass dies so stimmt und 
		wann erfolgte ggf. die Ernennung? 
Antwort: Der Rat der Gemeinde Kevelaer 
		hat in seiner Sitzung am 11.04.1933 beschlossen, Adolf Hitler das 
		Ehrenbürgerrecht zu verleihen. Aus der Niederschrift über diese Sitzung 
		ergibt sich, dass der Beschluss Adolf Hitler sofort telegrafisch 
		mitgeteilt worden ist. 
		
		2. Ist die heutige Stadt Kevelaer (Stadtrechte seit 1949) 
		Rechtsnachfolgerin der früheren Gemeinde Kevelaer und ist diese Person 
		dadurch auch Ehrenbürger unserer Stadt geworden? 
Antwort: Die heutige 
		Stadt Kevelaer ist Rechtsnachfolgerin der früheren Stadt Kevelaer. Eine 
		rechtliche Prüfung, ob Adolf Hitler dadurch Ehrenbürger der ‚neuen‘ 
		Stadt Kevelaer geworden ist, dürfte sich im Hinblick auf die Antwort zur 
		Frage 3 erübrigen. 
		
		3. Erlöscht das Ehrenbürgerrecht automatisch durch Ableben der geehrten 
		Person oder bedarf es zur Aberkennung eines förmlichen Beschlusses? 
		
Antwort: Da das Ehrenbürgerrecht mit dem Tode des Ehrenbürgers erlischt, 
		ist eine Entziehung des Ehrenbürgerrechts nur so lange möglich, wie der 
		Betreffende lebt (vgl. Kommentar Rehn/ Cronauge/von Lennep) zu § 34 
		Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen). Im Übrigen nimmt die 
		Stadt Kevelaer die in Teilen der Öffentlichkeit zu diesem Thema geführte 
		Diskussion zum Anlass, sich von der durch die Gemeinde Kevelaer im Jahre 
		1933 ausgesprochene Ehrung des Adolf Hitler ausdrücklich zu 
		distanzieren.“
		
		
Sigrid Ehrentraut (SPD) vertrat in der Sitzung die Auffassung, dass die 
		Ausführungen der Verwaltung nicht weitreichend genug seien. Eine 
		Distanzierung reiche nicht aus, da es sich 1933 um einen Ratsbeschluss 
		gehandelt habe. Dieser Beschluss solle aufgehoben werden. Als Zeichen 
		des Rates der Stadt Kevelaer sei das erforderlich.
		
		Franz Wustmans (CDU) betrachtete es als unvernünftig, lange Diskussionen 
		zu dem Thema zu führen. Die Ausführungen der Verwaltung seien juristisch 
		abgesichert. Er empfehle, dem Rat die Gelegenheit zu geben, sich zu 
		äußern. Mehr als sich zu distanzieren, könne man nicht tun. Es mache 
		keinen Sinn, etwas, das mit dem Tod beendet sei, aufzuheben. Wustmans 
		stellte den Antrag, der Rat solle sich von dem Beschluss des Rates der 
		Gemeinde Kevelaer im Jahre 1933 über die Verleihung des 
		Ehrenbürgerrechts an Adolf Hitler distanzieren. Alle stimmten zu.
		
		Am 11. Juni 2003 tagte dann der Stadtrat, der auf Antrag von Sigrid 
		Ehrentraut dann doch noch für klare Verhältnisse sorgte: Da ihm eine 
		Distanzierung nicht weitreichend genug war, hob der Stadtrat einstimmig 
		den Ratsbeschluss von 1933 auf. Damit war Hitler die Ehrenbürgerschaft 
		aberkannt, sein Name aus der Liste der Ehrenbürger getilgt.
		
		►
		Kevelaer und die Reichspogromnacht
		►
		Kevelaer und die Judenverfolgung
		
		
		
		
		
		