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		Für die Marientracht am Sonntag, 10. Juni 1951, werden von
		
Heinrich 
		Maria Janssen zwei weitere Anlässe genannt. Sie sei nicht nur eine 
		nachgeholte Marientracht zum 300-jährigen Bestehen der 
		Kevelaer-Wallfahrt im Kriegsjahr 1942; sie ziehe auch, um der Freude 
		über die Verkündigung des Dogmas der leiblichen Aufnahme Mariens in den 
		Himmel (1950) und die Weihe der Diözese Münster an Maria (Mai 1951) 
		auszudrücken.
		
		Marientracht 1951 (vorne: Kaplan
		Erich Bensch).
		
		Kevelaers Straßen stehen „in würdigem und ansprechendem Schmuck“, so wie 
		es Pastor Janssen im Frühjahr bei den Vorbereitungen erbeten hat. 
		Nachbarschaften und Straßengemeinschaften haben Ehrenbögen aufgestellt, 
		Spruchbänder und Girlanden aufgezogen. Abends taucht die Stadt ins bunte 
		Licht Tausender Lämpchen. Zusammen mit einem Meer von Fahnen zeigt sich 
		die Marienstadt in einem noch nie da gewesenen Schmuck. 
		
		Die Aufregung über einen Patzer in einer Tageszeitung ist inzwischen 
		vorbei: In einem Vorbericht stand im Zusammenhang mit der Gottesmutter 
		und dem Gnadenbild zu lesen, Maria werde in Kevelaer „angebetet“. 
		Dechant Janssen klärt auf, was jeder Katholik weiß: Maria sei ein Mensch 
		gewesen und dürfe niemals angebetet werden. Allein Gott sei Anbetung 
		vorbehalten. 
		
		In den Zeitungen der Region erscheinen Sonderseiten zur Marientracht - 
		mit einem Grußwort des Wallfahrtsrektors, geschichtlichen Abhandlungen 
		und Berichten zu den bevorstehenden Ereignissen. 
		
		Der Schrein, in dem das Gnadenbild durch die Straßen getragen wird, ist 
		ein Werk des Künstlers
		
Will Horsten (* 
		1920, † 1979). Der universal begabte Maler, Bildhauer und Grafiker 
		koordiniert auch die Herstellung des Schreins, dessen Platten und Dach 
		Goldschmiedemeister 
		Paul van Ooyen montiert. 
		
		Mit vier schmiedeeisernen Füßen ruht der Schrein auf einem Sockel, der 
		unter der Leitung von Gerd Holtappels und Heinrich Venmanns von der 
		Kolpingfamilie gezimmert worden ist. Samt und Brokat für die Ummantelung 
		der Tragekonstruktion hat die Firma J. van den Wyenbergh zur Verfügung 
		gestellt. 
		
		Die Grundform des Schreins entspricht der eines Hauses. Die Hauptseite 
		nimmt - hinter einer Glaswand - das Gnadenbild so auf, wie es in der 
		Gnadenkapelle sichtbar ist, also mit seiner gesamten Umrahmung. Seiten 
		und Rückwand sind mit Silberplatten verkleidet, die in Treibarbeit die 
		vier Mariendogmen (Verkündigung, Jungfrau und Mutter, Ohne Erbschuld, 
		Leibliche Aufnahme in den Himmel) versinnbildlichen. Die Darstellungen 
		hat Will Horsten aus Silberblech getrieben. Im gleichen Stil ist auch 
		das Dach des Schreins gestaltet, das eine stilisierte Lilie als Symbol 
		der Reinheit zeigt. Das „Haus der Gnadenmutter“ wird während der 
		Marientracht unter einem Baldachin getragen.
		
		Am Freitag vor der Marientracht empfängt Kevelaer den Coadjutor-Bischof 
		von Luxemburg, Dr. Lommel. Um 20 Uhr wird das Gnadenbild mit seiner 
		engsten Schutzfassung in den Schrein umgesiedelt und in die 
		Marienbasilika übertragen. Dort halten Männer der Pfarrei St. Antonius 
		Kevelaer die ganze Nacht Gebetsstunden.
		
		Weitere Ehrengäste treffen ein, so der Bischof von Münster (Michael 
		Keller), der Weihbischof von Roermond (der Bischof ist zur Zeit in Rom), 
		Vertreter der Kardinäle von Utrecht und Köln (Frings) sowie des Bischofs 
		von Aachen. 
		
		Am Samstag, dem Vortag der Marientracht, versammeln sich die Bischöfe 
		zum Gebet. Ab Mitternacht werden alle zwei Stunden heilige Messen 
		gefeiert. Die ganze Nacht hindurch wird das Bußsakrament gespendet.
		
		Sonntag, der Tag der Marientracht: Ab 5 Uhr wird stündlich die 
		Eucharistie gefeiert. Vor dem Pontifikalamt um 10 Uhr läuten alle 
		Glocken in Kevelaer. Seine Predigt hält Bischof Keller nach der 
		Messfeier auf dem Kapellenplatz. 
		
		Um 14 Uhr beginnt die Prozession. 6000 Gläubige geben dem Gnadenbild, 
		das von vier Priestern getragen wird, das Geleit. Die Kevelaerer 
		Pfarrfamilie bildet die Spitze des Zuges, dann folgen die Gläubigen aus 
		den Dekanaten Kleve, Goch, Emmerich, Kalkar, Moers, Rees, Rheinberg und 
		Xanten, die Pfadfinder, Jungmädchen- und Jungmänner-Gruppen, die 
		Jugendorganisation Neudeutschland, Schüler vom Collegium Augustinianum 
		Gaesdonck, Bannergruppen der katholischen Jugend, Bräutchen und 
		Kommunionmädchen, Ministranten und ungezählte Priester und Vertreter von 
		weltlichen Behörden und Organisationen.
		
		Malteserritter und Ritter vom Heiligen Grab bilden das Ehrengeleit für 
		das Marienbild. Rechts und links laufen Mitglieder der 
		Schützenbruderschaften. Auch sie sorgen im übertragenen Sinn und an 
		diesem Tag auch ganz praktisch für den Schutz des Gnadenbilds. 
		
		In der Prozession werden alte Heiligtümer aus anderen niederrheinischen 
		Dekanaten mitgeführt, darunter das „wundertätige Kreuz von Kranenburg“, 
		die Reliquie des Hl. Willibrord aus Kellen und das Gnadenbild von 
		Aengenesch.
		
		Während der Marientracht sind die Devotionalien-Geschäfte in der City 
		geschlossen. Besonders die Inhaber der Eisdielen sind vorher ermahnt 
		worden, den Betrieb während des kirchlichen Umzugs ruhen zu lassen.
		
		Ebenfalls eine Marientracht in Kevelaer, allerdings jene zum 
		Wallfahrtsjubiläum im Jahr 1992.
		
		Wenige Tage nach dem Festtag kritisiert Dechant Janssen 
		- während der Wallfahrtseröffnung - erneut die „Profanisierung“ am 
		Gnadenort. Es sei unpassend und geschmacklos, Teddybären neben 
		Madonnenfiguren auszustellen, Faschingsartikel neben Rosenkränzen, 
		Medaillen zwischen Taschenmessern und Pfeifenköpfen zu platzieren. 
		
		► „Ihr Kaufleute, wahrt Eure Ehre und die Ehre Kevelaers! Es werden 
		schon viele Dinge angeboten, die uns draußen einen schlechten Namen 
		einbringen“, äußert sich der Geistliche und erwähnt die sprichwörtliche 
		„Maria im Schnee“ und Verzierungen von profanen Gegenständen mit dem 
		Gnadenbild oder der Gnadenkapelle. Das sei eine „Verunehrung der 
		Gottesmutter“. Jugendlichen Pilgern würden bunte Käppchen und Krach 
		machende Pfeifen und Flöten angeboten - wie für einen 
		„fastnachtsähnlichen Aufzug“. 
		
		Janssen beschließt seinen Aufruf mit der Mahnung: „Wir sind kein 
		Ausflugsort, wir sind ein Wallfahrtsort, wir sind eine Gnadenstätte der 
		Gottesmutter. Und das soll Kevelaer auch bleiben.“
		
		
Tagelang ist die Marientracht beherrschendes Thema in 
		den Zeitungen gewesen. Da geht eine Meldung von einem vorgeschichtlichen 
		Fund fast unter: Der 14-jährige Schüler Manfred Lörks findet auf einem 
		Rübenfeld an der Südstraße ein gut erhaltenes Absatzbeil aus der 
		Bronzezeit. Das Fundstück ist fast 3.000 Jahre alt.
		
		Auf der Twistedener Heide liegt anderes Kriegsmaterial: Hier wacht 
		Sprengmeister Wilhelm Gronenberg (36) über einen unterirdischen 
		Munitionsbunker. Bis zu fünf Tonnen Sprengstoff und rund 20.000 
		Sprengkapseln sind eingelagert. Der Bestand wird regelmäßig durch die 
		Polizei überprüft.
		
		Ende Juni wird Richtfest für eine Landarbeitersiedlung in Twisteden 
		gefeiert, die zwischen Gerberweg und Maasweg entsteht und durch die neue 
		Quirinusstraße erschlossen wird. Zwei von vier Doppelhäusern sind 
		bereits bezogen, zwei Einzelhäuser sind richtfertig. Zum Projekt im 
		ersten Bauabschnitt gehören vier Doppelhäuser und elf Einzelhäuser.
		
		
Der nächste Winter schickt seine Sorgen voraus: 
		Bäuerliche Betriebe, so muss der Kreiskohleausschuss in Geldern 
		beschließen, erhalten im folgenden Winter - von wenigen Ausnahmen 
		abgesehen - keine größeren Mengen an Kohlen als normale Haushalte. Nur 
		Schornsteinfegern wird eine Sonderration zugebilligt, damit sie, wenn 
		sie abends schwarz nach Hause kommen, warm baden können. 
		
		Fieberhaft versucht die Bundesregierung in diesen Wochen, mehr von den 
		in Deutschland geförderten Kohlen für die Versorgung der eigenen 
		Bevölkerung zurückhalten zu dürfen. Sie übermittelt eine inständige Note 
		an die Regierungen der drei Westmächte, den Beschluss der 
		Internationalen Ruhrbehörde über die Kohlenexportquote im dritten 
		Quartal „zu überprüfen“. Die hohen Abliefermengen verursachen in der 
		Bundesrepublik ein Defizit von drei Millionen Tonnen. „Die Kohlenlage 
		könnte Gefahr einer wirtschaftlichen und sozialen Unordnung zur Folge 
		haben“, heißt es in dem Schreiben an die westlichen Siegermächte. 
		
		Der Alltag hat Kevelaer wieder - und dazu gehören auch die Probleme mit 
		den Vertriebenen und Flüchtlingen. Im Hotel 
Zum Goldenen Apfel 
		tagt der Vertriebenenbeirat unter dem Vorsitz von Herbert Klus. 
		Bauamtsleiter 
		Heynen, Wohlfahrtsamtsleiter
		
Wolfgarten, 
		Wohnungsamtsleiter Greven sowie Vorsitzender und Geschäftsführer des 
		Kreisvertriebenenbeirats nehmen teil. 
		
		Der Vertriebenenbeirat hält jeden Dienstag Sprechstunde im Rathaus. 
		Jetzt auf seiner Sitzung befasst er sich mit Bauvorhaben und 
		Möbelbeschaffung. Offenbar knistert es unter den Bürgern, denn 
		Kreisbeiratsvorsitzender Dettmann appelliert an die Vertriebenen, sich 
		bei „Meinungsverschiedenheiten in Wohnungsfragen nicht auf persönliche 
		Streitigkeiten einzulassen, sondern sich an den 
		Flüchtlingssachbearbeiter zu wenden“. Den Einheimischen gibt er zu 
		bedenken, dass die „Opfer, die sie den Flüchtlingen bringen, klein sind 
		gegenüber den Opfern, die den Vertriebenen abverlangt werden“.
		
		
Im Wallfahrtsort wird gegenseitiges Verständnis auf 
		eine besonders harte Probe gestellt: In Kevelaer treffen heimatlose 
		Protestanten auf marianisch geprägte Katholiken. Nicht wenige 
		Evangelische fühlen sich an den Rand gedrückt. 
		
		Die Probleme sind nicht wegzudiskutieren: Nordrhein-Westfalen hat bis 
		jetzt fast 1,4 Millionen Vertriebene aufgenommen. Jeder zehnte Einwohner 
		des Landes ist Heimatvertriebener. 
		
		Dass all diese Menschen in die Gesellschaft integriert worden sind, ist 
		das eigentliche Wunder der Nachkriegszeit und bedeutender als das so 
		genannte Wirtschaftswunder.
		
		
		
		
		
		
		
		
		
		