
		
		
		Mai 1951
		
		Das kirchliche und gesellschaftliche Leben in Kevelaer ist auf die 
		Marientracht ausgerichtet. Nur alle fünf Jahrzehnte wird das Gnadenbild 
		durch die Straßen Kevelaers getragen. 1942, im Jahr des 300-jährigen 
		Bestehens der Wallfahrt, musste darauf verzichtet werden. Es war nicht 
		die Zeit, in feierlicher Prozession durch Kevelaer zu ziehen. Das 
		Gnadenbild lag im sicheren Versteck unterm
		
Turm der 
		Basilika.
		
		Jetzt soll die Marientracht nachgeholt werden, und viele Kevelaerer sind 
		an den Vorbereitungen beteiligt.
		
		Zur selben Zeit, da sich katholische Volksfrömmigkeit in der 
		Wallfahrtsstadt von ihrer festlichsten Seite zeigen will, wachsen auch 
		unter den evangelischen Mitbürgern Freude und Selbstbewusstsein: Am 
		Festtag 
Christi Himmelfahrt, am 3. Mai, wird der Grundstein für 
		die 
erste 
		evangelische Kirche in Kevelaer gelegt. Das zum großen Teil aus Holz 
		bestehende Gotteshaus ist als Bausatz angeliefert worden - ein Geschenk 
		des Lutherischen Weltbunds für die Diaspora-Gemeinde.
		
		Der Bauplatz befindet sich an der Brunnenstraße. Eine große 
		Menschenmenge findet sich zur Grundsteinlegung ein. Ein sehnlicher 
		Wunsch vor allem vieler Ostvertriebener geht in Erfüllung.
		
		Kevelaers erste evangelische Kirche im Bau: Am 3. Mai 1951 wurde der 
		Grundstein gelegt, wenige Wochen danach war Einweihung.
		Foto aus: Geldrischer Heimatkalender 2005, S. 208
		
		Superintendent Dr. Echternacht und zahlreiche Pfarrer aus der 
		evangelischen Diaspora wohnen der Feier bei. Die katholische Gemeinde 
		schickt Kaplan Müller. Für die Stadt Kevelaer sind Bürgermeister
		
Plümpe und 
		Amtsdirektor 
		Holtmann zugegen.
		
		Am Tag zuvor ist Lehrerin Maria Tebartz im Alter von nur 59 Jahren 
		gestorben. Die gebürtige Kevelaererin hat hier seit 1926 
		unterrichtet.Anfang Mai informiert
		
Josef Schotten 
		(* 1900, † 1997) per Anzeige im 
Kävels Bläche, dass er mit 
		seinem Geschäft für feine Tapeten, Bodenbeläge und Malerbedarf zur 
		Hauptstr. 21 umgezogen ist.
		
		
Kevelaer steht vom 6. bis 9. Mai ganz im Zeichen der 
		Kirmes. Die
		
		Bürgerschützen sind festgebender Verein. Ihr Präsident Josef 
		Aengenheyster trägt die Festkette. Da hat die St.-Antonius-Gilde ihr 
		Königsschießen bereits hinter sich: Es ist zum ersten Mal von 
		Kirmesdienstag auf den 1. Mai verlegt worden.
		
		Am Hauptfesttag, Montag, 7. Mai, bildet die Wache des Festkettenträgers 
		ein Spalier auf der Rathaustreppe. Sie besteht aus acht Männern mit dem 
		Namen van Betteraey, dem ältesten Kevelaerer Familiennamen, der schon 
		für das 11. Jahrhundert bezeugt ist. Amtsbürgermeister Plümpe überreicht 
		die Festkette an Josef Aengenheyster. 40 Jahre später, im Jahr 1991, 
		wird Sohn 
		Albert Aengenheyster die Festkette tragen.
		
		Als die Kirmes vorbei ist, bricht eine Gruppe Kevelaerer in vier Bussen 
		zu einer Pilgerreise nach Luxemburg auf. Der letzte Besuch Luxemburgs 
		liegt 18 Jahre zurück.
		
		Mitte Mai lesen die Kevelaerer im 
KB auch Alltägliches: Aus 
		einem Schaufenster sind Schokolade, Pralinen, Kaffee und Plockwurst im 
		Wert von 85 DM gestohlen worden. Und im Ratskeller führt eine Münchener 
		Firma ein Wunderwerk der Technik vor: Die 
Vaporette, eine 
		Waschmaschine, reinigt Wäsche ohne Bürsten und Reiben und lässt sich 
		auch als Schnellbadeofen, Großeinkocher und als Futterdämpfer für 
		Kleinviehhalter nutzen. Die Maschine kostet ab 79,50 DM und kann „in 
		bequemer Teilzahlung“ über zwei Jahre finanziert werden.
		
		
Aufsehen erregt ein Prozess Ende Mai vor dem Klever 
		Schwurgericht. Der Kevelaerer Postmeister Hans L. wird beschuldigt, 
		während der NS-Zeit gegen die Menschlichkeit verstoßen zu haben. Der 
		inzwischen 38-jährige L. habe während einer Behandlung in einer 
		Kevelaerer Zahnarztpraxis politische Äußerungen von Dr. B. gehört und 
		die Informationen an Behörden weitergegeben. 
		
		Tatsächlich ist Dr. B. wenig später verhaftet worden - auf Grund von 
		zwei Anzeigen nach dem „Heimtückegesetz“ sowie wegen „Zersetzung der 
		Wehrkraft“. Der Zahnarzt wurde der Gestapo in Kleve übergeben. Er kam 
		jedoch nach einigen Tagen frei. Beide Verfahren gegen ihn wurden später 
		eingestellt. 
		
		Nun, im Mai 1951, äußert Dr. B. vor Gericht seine Meinung, dass die 
		erste Anzeige von seinem Patienten L. ausgegangen sei. Der bestreitet 
		energisch, die Verhaftung und das Verfahren gegen den Zahnarzt 
		veranlasst zu haben. Er sei allerdings durch eine ultimative 
		Aufforderung des Gelderner NSDAP-Kreisleiters, sein Wissen über Dr. B. 
		innerhalb von drei Tagen der Partei zur Verfügung zu stellen, gezwungen 
		worden, zu Protokoll zu geben, was damals in der Praxis gesprochen 
		worden sei. Er habe aber so viel wie möglich verschleiert, um 
		Repressionen gegen den Zahnarzt zu verhindern.
		
		Die Zeugin K. erhebt bittere Anklage gegen L. Er habe sie seinerzeit 
		dienstlich versetzt, weil sie der mehrmaligen Aufforderung des 
		Angeklagten, der Partei beizutreten, nicht gefolgt sei. L. bestreitet 
		entschieden, dass das der Grund zur Versetzung gewesen sei.
		
		Auch andere Zeugen belasten den Angeklagten. Es verdichtet sich die 
		Einschätzung, dass beide Anzeigen vom Postmeister L. initiiert worden 
		sind, und L. wird verurteilt.
		
		1966 - 15 Jahre nach dem ersten Prozess - erfolgt der Schlussstrich: Der 
		ehemalige Kevelaerer Postmeister Hans L. verlässt mit einem Freispruch 
		den Gerichtssaal in der Klever Schwanenburg. Das Gericht sieht es als 
		nicht erwiesen an, dass L. den inzwischen verstorbenen Zahnarzt Dr. B. 
		im Jahr 1943 bei den Behörden angezeigt hat. Hans L. kann sich nur 
		teilweise freuen: Der 15-jährige Kampf vor den Gerichten hat seine 
		Gesundheit ruiniert. 
		
		Der Vorsitzende Richter gibt in einem Schlusswort zu bedenken: „Wir sind 
		damals alle durch Dreck gewatet. Und an wessen Stiefeln ist nicht Dreck 
		hängengeblieben, ob er wollte oder nicht?“ 
		
		Der Monat geht für Martin Simons von der Maasstraße mit einer 
		Neueröffnung zu Ende: Er betreibt wieder seine „frühere 
		Auto-Reparaturwerkstatt“.
		
		Änderungen auch im Twistedener Gemeinderat: Um den neuen gesetzlichen 
		Vorgaben zu genügen, verdoppelt er seine Größe - von drei auf sechs 
		Ratsmitglieder. Von der Reserveliste rücken Gerhard Ambrosius, Johann 
		Elbers und Albert Lenz nach.
		
		
Juni 1951
		
		Die Winnekendonker Lehrerin Katharina Janssen stirbt im Alter von 60 
		Jahren. Es trauern ihre Schwester und die Schwager- Familie Willy 
		Goossens. 
		Amtsbürgermeister Wehren, Bürgermeister Bohne und
		
Amtsdirektor 
		Wormland würdigen Katharina Janssen für ihr 40-jähriges Wirken an 
		der Winnekendonker Volksschule. „Sie war der Jugend eine tüchtige 
		Lehrerin, mütterliche Erzieherin und ein leuchtendes Vorbild“, heißt es 
		im Nachruf. Auch über die Beerdigung wird berichtet. - Pfarrer Reiners 
		sagt am Grab, die Verstorbene sei „eine Lehrerin aus Überzeugung 
		gewesen, von idealer Berufsauffassung und tiefer Gläubigkeit mit einer 
		festen Verbindung zur Kirche.“
		
		In der Basilika sind Anfang Juni Handwerker zu Gange. Die Orgelbühne 
		wird um 2,5 Meter nach vorne gezogen, da sie für Orgel, Chor und 
		Orchester zu klein gewesen ist. Die Bühne wächst auf 20 Quadratmeter.
		
		Es ist jetzt gut drei Wochen vor Eröffnung der Wallfahrtszeit, und die 
		Gastwirte versammeln sich im Lokal Jacobs.
		
Dechant 
		Janssen, der Leiter des Verkehrsamts, Richard van Aerssen, und 
		Polizeimeister Hanssen wohnen der Tagung bei. Janssen mahnt an, dass der 
		„Ausflugscharakter“, den manche Pilgerreise und manches Angebot in 
		Kevelaer angenommen hätten, verschwinden müsse. Wenn in wenigen Tagen 
		die Marientracht ziehe, sei mit einer großen Besucherzahl zu rechnen. 
		Leider seien die Bemühungen der Wallfahrtsleitung, öffentliche Mittel 
		für die Renovierung des Priesterhauses zu bekommen, ohne Erfolg 
		geblieben. Anscheinend sei man sich bei den Regierungsstellen über die 
		internationale Bedeutung von Kevelaer nicht im Klaren. Die aber werde 
		sich bei der Marientracht wieder zeigen: Aus dem Ausland hätten sich 
		viele Bischöfe angesagt, auch Vertreter des holländischen Episkopats.
		
		Verkehrsamtsleiter van Aerssen beklagt, dass Holländer nach wie vor 
		keine Gulden umtauschen dürften. Polizeimeister Hanssen informiert über 
		Verkehrssperrungen zur Marientracht. Er bittet die Wirte, „dem Übelstand 
		der Bettelei abzuhelfen“. Und kritisiert: „Schändlich ist es, wenn 
		versucht wird, Omnibusfahrer durch Bestechung dazu zu bewegen, ihre 
		Fahrgäste bestimmten Wirten zuzuführen.“ Die Meldepflicht der Pilger 
		müsse strikt beachtet werden, fordert er: „Es dürfen sich steckbrieflich 
		gesuchte Verbrecher, durch Nachlässigkeit begünstigt, hier nicht 
		aufhalten.“
		
		

Anfang 
		Juni soll es ernst werden mit einer dreitägigen „Volksbefragung gegen 
		die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluss eines 
		Friedensvertrags“. Die von der SED-Führung in der DDR massiv 
		unterstützte und gesteuerte Befragung will eine seit 1950 in 
		Westdeutschland kontrovers geführte Debatte ausnutzen und die „Deutschen 
		an einen Tisch“ holen - gegen den Aufbau einer Bundeswehr. 
		
		
Gustav Heinemann (1899-1976), Oberbürgermeister von Essen, 
		Innenminister und Bundespräsident. - 
		Foto: Stadtbildstelle Essen
		
		Die SED sieht gute Chancen, die Westdeutschen zur Ablehnung zu bewegen, 
		nachdem sich in der Bundesrepublik erheblicher Widerstand aufgebaut hat. 
		In diesem Zusammenhang ist Bonns Innenminister Gustav Heinemann 
		zurückgetreten (1950). 
		
		Es werden „gesamtdeutsche Tagungen und Kongresse“ in der Bundesrepublik 
		organisiert, überall im Land melden sich „Friedensgruppen“ zu Wort. 
		„Sind Sie gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß 
		eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951?“ - darauf soll 
		die Volksbefragung eine Antwort geben. 
		
		Aber dazu kommt es nicht. Die Bundesregierung reagiert mit Verbot aller 
		Organisationen, die eine Volksbefragung gegen die Remilitarisierung der 
		Bundesrepublik vorbereiten. Die Umfrage wolle die verfassungsmäßige 
		Ordnung zerstören.
		
		In der sowjetischen Zone und in Ost-Berlin aber beginnt am 3. Juni die 
		Aktion: Fast 96 Prozent der Abstimmungsberechtigten in der DDR, so das 
		offizielle Ergebnis, votieren gegen die Wiederbewaffnung und für einen 
		„Friedensvertrag“.
		
		Dabei geht es alles andere als friedlich zu: Die Staatssicherheit 
		verhaftet in diesen Tagen reihenweise junge Menschen und zwingt sie zur 
		Anpassung an den politischen SED-Kurs.
		
		In Kevelaer wird unmittelbar vor der Marientracht die neue Pilgerhalle 
		am Bahnhof eröffnet. Der Vizepräsident der Bundesbahn verspricht bei der 
		Feier, dass der Bahnhof, dessen ruinenhaftes Aussehen als Schandfleck 
		für Kevelaer empfunden wird, im folgenden Jahr neu gebaut werde.
		
		
		
		
		
		
		
		