Französische 
		Besatzungszeit
		►
		22 Jahre Herrschaft Napoleons über den Niederrhein | 1792 - 1814
		
		
Die Enteignung des gesamten Kirchenbesitzes in Frankreich 
		beginnt am 2. November 1789 auf Antrag des Ex-Bischofs von Autun, 
		Charles Maurice de Talleyrand-Périgord († 1838): Die französische 
		Nationalversammlung erklärt das Kirchengut zum Nationaleigentum.
		
		
Napoleon Bonaparte. Abbildung zitiert aus: Jörg Becker/Karl-Heinz 
		Tekath (Hrsg.), Franzosen am unteren Niederrhein. Heimat und 
		Verkehrsverein Goch, 1994. S. 61
		
		Als Entschädigung für diese umfassende Säkularisation des kirchlichen 
		Eigentums sichert der Staat zu, den Pfarrern ein Staatsgehalt zu zahlen 
		und die bis dahin von der Kirche getragene Armenfürsorge zu übernehmen.
		
		
1792 - Preußen und Österreich liegen mit Frankreich im 
		Krieg. Am 17. Dezember 1792 besetzen französische Truppen Gebiete des 
		Niederrheins und marschieren an diesem Tag auch in Kevelaer ein. 
		
		Unter 
		General Mirande steht die französische Nord-Armee entlang der Maas. Von 
		dort aus fallen die Franzosen zu Raubzügen ins Gelderland ein, aus dem 
		sich preußische Streitkräfte nach der militärischen Niederlage der 
		Österreicher bei Jülich (3. November 1794) völlig zurückziehen werden.
		
		
		Das gesamte linke Rheinland wird im 
Frieden von Basel (5. April 
		1795) zunächst vorläufig und im 
Frieden von Lunéville (9. 
		Februar 1801) völkerrechtlich vom deutschen Kaiserreich an 
		Frankreich abgetreten.
		
		
Wenige Monate vor der Besetzung Kevelaers Ende 1792 
		haben die Gläubigen in einer Prozession das 150. Stiftungsjahr der 
		Wallfahrt zur "Trösterin der Betrübten" gefeiert (9. Juli). Allerdings: 
		Kirchenschätze aus dem Wallfahrtsort werden in Sorge vor Vernichtung 
		oder Konfiszierung durch die Franzosen zur Nordsee-Insel Nordstrand 
		gebracht. Zwölf Karren, vollgepackt mit Kelchen, Kerzenhaltern, 
		Monstranzen und Kleinodien, rollen nach Norden, und sie kommen auch 
		unversehrt auf Nordstrand an. Dort lagern sie 16 Jahre lang in einem 
		Haus der Oratorianer - bis zum Totalverlust im Jahr 1806: Das Haus fängt 
		bei einem Unwetter Feuer, und in den Flammen gehen sämtliche 
		Kirchenschätze aus Kevelaer verloren. 
		
		Mit den Franzosen ist nicht zu spaßen: Der Superior des Oratoriums wird 
		am 17. Dezember 1792, dem Tag des Einmarsches in Kevelaer, um 100 Pfund 
		Fleisch und 200 Pfund Brot erpresst. Der Franzosen-Trupp zieht am 
		folgenden Tag wieder ab und kommt am 19. Dezember zurück. Er besetzt das 
		Oratorianer-Kloster. Keiner der Insassen darf hinaus. Der Kommandierende 
		verlangt von dem Kloster die Zahlung von 15,000 Pfund - eine ungeheuer 
		hohe Summe Geldes. Bei Weigerung, so wird gedroht, werden vier 
		Oratorianer als Geisel nach Frankreich abgeführt. 
		
		Die eingeschüchterten Klosterbewohner und helfende Einwohner Kevelaers 
		zahlen 15,000 franz. Ds (beinahe 4,000 Thl.).
		
		
Viele Geistliche sind bereits Ende 1790 aus Frankreich 
		geflohen, weil sie die Eidesleistung auf die neue Verfassung verweigern. 
		In Goch leben 1794 mehr als 40 französische Priester, die bei den 
		katholischen Einwohnern frei wohnen dürfen und von ihnen unterhalten 
		werden. In Emmerich ist Johann Heinrich von Frankenberg, der Primas von 
		Belgien und Erzbischof von Mecheln, untergetaucht.
		
		Inzwischen schreitet im revolutionären Frankreich die 
		"Dechristianisierung" voran. Geistliche und Ordensleute werden verfolgt. 
		Die christliche Zeitrechnung wird am 2. September 1792 durch einen 
		republikanischen Kalender mit einer 10-Tage-Woche ersetzt. Nicht genug: 
		Das Christentum wird im November 1793 "offiziell abgeschafft". Alles 
		Entscheidungen von kurzer Geltungsdauer: Ab 1806 ist der Kalender-Spuk 
		vorbei. Dann gilt die alte Zeitrechnung wieder.
		
		
Was die Deutschen erwartet, falls es zu einer 
		dauerhaften Besatzung kommt, wird also in Frankreich bereits 
		vorexerziert und schließlich - zum Teil - auch am Niederrhein 
		durchgesetzt: Öffentlicher Kult und alle Zeichen der Religion wie Kreuze 
		werden verboten. Das Begräbnis muss ohne Totengeleit, Glockengeläut und 
		Priester erledigt werden. 
		
		Prozessionen nach und in Kevelaer werden mit der Begründung abgeschafft, 
		dass sich in ihrem Gefolge Gesinde herumtreibe, das ein "Frevel wider 
		die göttliche Majestät wäre". Erst mit dem Konkordat, das Napoleon und 
		Papst Pius VII. im Jahr 1801 unterzeichnen werden, werden solche absurden 
		Beschränkungen aufhören. Danach darf wieder zum Gnadenbild gepilgert werden.
		
		In Kevelaer wird die Bedrohung von Kirche und Gnadenort allerdings 
		unterschätzt. Am 28. April 1793 zieht eine feierliche Dankprozession zur 
		Gnadenkapelle: Das Gnadenbild, das man mitsamt den Silbersachen und dem 
		Archiv vor dem Einfall der Franzosen versteckt hat, wird an seinen 
		angestammten Platz zurückgebracht. 
		
		Die Gefahr ist aber nicht vorüber, sondern die Fremdherrschaft beginnt 
		sich jetzt auszubreiten. 1794 ist das gesamte linke Rheinufer von den 
		Franzosen besetzt. 
		1795 sind alle linksrheinischen Fürstentümer wie Geldern, Moers und 
		Kleve Frankreich einverleibt.
		
		
Die 1803 zunächst in Frankreich vollzogene 
		Säkularisation hätte ohne Napoleons Druck kaum eine solche Radikalität 
		erreicht. Der Papst stört den Verweltlichungs-Prozess nicht durch 
		Versuche, die geistlichen Fürstentümer im zerfallenden alten Reich zu 
		retten, weil er als Reaktion noch weitergehende Einschränkungen und 
		Verluste befürchtet.
		
		

Die 
		Menschen zwischen Rhein und Maas rechnen mittlerweile mit 
		langjähriger Besatzung - tatsächlich wird sie nur bis 1814 dauern. In 
		den 22 "Franzosen-Jahren" werden die Strukturen am Niederrhein auf den 
		Kopf gestellt. Das Land wird in Departements eingeteilt. Der Raum 
		Kevelaer zählt zum Roer-Departement mit der Hauptstadt Aachen. 
		
		
Das Roer-Departement: Kevelaer fehlt unerklärt auf dieser Karte. Abbildung zitiert aus: Jörg Becker/Karl-Heinz 
		Tekath (Hrsg.), Franzosen am unteren Niederrhein. Heimat und 
		Verkehrsverein Goch, 1994. S. 35
		
		Das 
		Roer-Departement besteht aus den vier Arrondissements Aachen, Köln, 
		Krefeld und Kleve. Das Arrondissement Kleve hat zehn Kantone, nämlich 
		Kleve, Kranenburg, Ravenstein, Gemert, Kalkar, Xanten, Goch, Horst, 
		Wankum und Geldern. Zum Kanton Geldern gehören die Mairien (Gemeinden) 
		Geldern, Veert, Pont, Walbeck, Arcen, Twisteden, Kevelaer, Wetten, 
		Kapellen, Issum, Sevelen, Vernum, Nieukerk und Eyll.
		
		Mit dem "Sonderfrieden von Basel" (1795) ist Preußen kein Kriegsgegner 
		Frankreichs mehr. Preußen gibt klein bei, weil es wenigstens seine 
		rechtsrheinischen Gebiete vor den französischen Truppen schützen will. 
		Der preußische Teil des Herzogtums Geldern wird quasi an Frankreich 
		abgetreten. Da ist Napoleon Bonaparte gerade 26 Jahre alt und bereits 
		seit zwei Jahren Brigadegeneral. Nun wird er auch zum Oberbefehlshaber 
		der französischen Armee in Oberitalien berufen. 
		
		
Am 4. September 1797 hat Napoleon zwar die 
		antichristliche Revolutionsphase in Frankreich beendet, aber im besetzten 
		Rheinland herrschen immer noch raue Sitten: Ordensleute und Priester 
		dürfen innerhalb der eroberten Gebiete nicht versetzt werden. Anfang 
		1798 wird allen geistlichen Gemeinschaften verboten, Novizen 
		aufzunehmen. Wer bereits als Novize in einem Konvent lebt, darf keine 
		Gelübde mehr ablegen und muss sein Kloster innerhalb von zwei Dekaden 
		verlassen. Und: Am 2. April 1798 verbietet die Zentralverwaltung der 
		Roer-Departements, zu dem Kevelaer zählt, alle kirchlichen Zeremonien 
		außerhalb der Gotteshäuser.
		
		Die Reformen werden durchgezogen. Der Adel verliert seine gutsherrlichen 
		Rechte; Zünfte, Innungen und Gilden müssen sich auflösen (26. März 
		1798). In Kevelaer sind alle Schützengilden betroffen: 
		St.-Antonius-Gilde, St.-Josefs-Bruderschaft, St.-Hubertus-Gilde und 
		St.-Sebastianus-Gilde. 
		
		Als die französischen Verwalter nach Inventarlisten für Mobiliar und 
		Gegenstände der Kerzen- und Gnadenkapelle verlangen, fällt die 
		schriftliche Auskunft (4. Mai 1798) überaus dürftig aus. Den Grund 
		kennen die Eingeweihten: Die meisten Kostbarbeiten und Kultgegenstände 
		sind nach Nordstrand ins "Exil" gebracht worden - in eine scheinbare 
		Sicherheit. Die Franzosen glauben der dürren vorgelegten Inventarliste 
		nicht. Am 18. Mai verlangt Kommissar Molitor unter Zeugen nach einem 
		alten Register, das den wahren Bestand aufzeigt - mit welchem Erfolg, 
		ergibt sich aus den historischen Quellen nicht.
		
		
Das gesamte Rheinland ist ab 1804 politisch und 
		administrativ in das französische Kaiserreich eingegliedert. Die 
		Bevölkerung schert sich freilich nicht um die kalendarischen 
		Absonderheiten französischer Zeitrechnung, sondern hält weitgehend an 
		den Ereignissen des christlichen Kalenders mit seinen zahlreichen 
		Feiertagen fest. Auf lokaler Ebene führt das zu einigen Verwicklungen 
		zwischen zivilen und kirchlichen Gemeinden. 
		
		Trotz der Einschränkungen für die Kevelaer-Wallfahrt pilgern jährlich 
		zunächst noch weit über 100.000 Menschen zum Gnadenbild der 
		Trösterin der Betrübten. Allerdings fällt das Pilgeraufkommen bis 
		zum Jahr 1811 auf seinen historischen Tiefstand von nur noch 86 Gruppen. 
		Doch hierbei handelt es sich nur um einen quantitativen Wert ohne 
		qualitative Bedeutung für die Kevelaer-Wallfahrt, wie sich schon sehr 
		bald nach Beendigung der "Franzosenzeit" zeigen wird. Im übrigen ist im 
		katholischen Rheinland kein aktiver Widerstand gegen die Besatzer 
		festzustellen; vielmehr arrangiert sich die Bevölkerung zunehmend mit 
		den Gegebenheiten, die die französische Administration mit sich bringt.
		
		Kevelaer ist in jener Zeit unter den Orten des Niederrheins leicht 
		privilegiert, weil hier der Katholizismus, den die französische 
		Besatzungs-Verwaltung allerorten unterdrückt und bekämpft, relative 
		Freiheiten genießt und christliche Kulthandlungen ausüben kann. So darf 
		Bischof Berdolet an zwei Tagen im Jahr 1807 in Kevelaer das Sakrament 
		der Firmung spenden.
		
		
		Papst Pius VII. überreicht Kardinal Consalvi (l.) die 
		Ratifizierungsbulle des Konkordats von 1801. Abbildung zitiert aus: Jörg 
		Becker/Karl-Heinz Tekath (Hrsg.), Franzosen am unteren Niederrhein. 
		Heimat und Verkehrsverein Goch, 1994. S. 45
		
		Die katholische Kirche verlässt sich auf das Konkordat vom 15. Juli 
		1801, das Papst Pius VII. mit Napoleon geschlossen hat. Die daraus 
		abgeleiteten Staatskirchenverträge (4. Mai 1802) führen auch in den vier 
		linksrheinischen Departements zu radikalen Veränderungen: Die 
		klösterlichen Institutionen werden aufgelöst sowie Bistümer, Pfarreien 
		und Priesterseminare unter staatlicher Aufsicht neu geordnet. 
		
		
Die Folgen dieses Konkordats wirken noch heute: 
		Wegen der folgenden Konfiszierungen des Kirchenbesitzes übernimmt Anfang 
		des 19. Jahrhunderts der Staat die Besoldung der Pfarrer und Bischöfe, 
		womit die Kirche - finanziell gesehen - quasi zur "Staatskirche" und die Priester zu 
		"Staatsdienern" werden. Die Geistlichen haben als Gegenleistung einen 
		Treueeid gegenüber dem Staat zu leisten (die Rheinländer sind ab dem 18. 
		Mai 1802 französische Bürger). Die Verpflichtung des Staates, den Einzug 
		des Kirchenbesitzes zu entschädigen, führt noch 200 Jahre nach der 
		Säkularisation in Deutschland zu Geldzahlungen in dreistelliger 
		Millionenhöhe an die deutschen Bistümer (Staatsdotationen). 
		
		Geschlossen und konfisziert werden 1802 am Niederrhein außer dem 
		Oratorianer-Kloster in Kevelaer in Geldern die Klöster der der 
		Karmeliter, Kapuziner, Karmelitessen, Augustinerinnen und 
		Franziskanerinnen, in Weeze das Kloster Marienwasser, in Asperden das 
		Zisterzienserinnenkloster Graefenthal und in Marienbaum das 
		Birgitinenkloster. In panischer Sorge wird das Gnadenbild von Marienbaum 
		zunächst nach Rees, dann für zwei Jahre in Xanten in Sicherheit 
		gebracht.
		
		Nachdem die französischen Besatzer das Oratorianer-Kloster in Kevelaer 
		aufgehoben haben, muss es innerhalb von zehn Tagen geräumt werden. 
		Einige Oratorianer-Patres bleiben in Kevelaer und wohnen nach ihrer 
		Vertreibung aus dem heutigen Priesterhaus bei hilfsbereiten Bürgern.
		
		
		

Orator-Superior Melchior van Cleemputte († 1817), zugleich 
		Wallfahrtsrektor in Kevelaer, besteht in seiner Eigenschaft und Stellung 
		als Pfarrer von St. Antonius auf seinem Recht, die privaten Pfarrräume 
		weiterhin bewohnen zu dürfen. Damit wird das bereits konfiszierte 
		Klostergebäude zum "Pastorat" der Pfarrei St. Antonius, das unter dem 
		Schutz des Staates steht.
		
		
Melchior van Cleemputte. 
		
		Das ist für das heutige Priesterhaus ein Glücksfall, denn der Immobilie 
		hat die freie Versteigerung gedroht. Für diesen Fall haben sich viele 
		Bürger aus Kevelaer spontan zusammengeschlossen, um das Kloster 
		gemeinsam zu kaufen. Darüber ist ein notarieller Akt vom 10. Januar 1804 
		(vor Notar Franon Gueldres) abgeschlossen worden. Verwirklicht werden 
		musste der der Kloster-Kauf durch die Bürger freilich nicht, denn die Immobilie 
		verbleibt im Pfarrbesitz. Das Orator-Gebäude und die Gärten werden 
		allerdings zeitweilig von der Bürgergruppe, die sich auf den Erwerb des 
		Ensembles vorbereitet hat, gepachtet, bis die Eigentumsverhältnisse 
		restlos geklärt sind.
		
		Am 4. Juli 1802 werden überraschend die zum Kloster gehörende 
		Gnadenkapelle und die KerzenkapeIle versiegelt. Die Prozession aus 
		Amsterdam steht vor verschlossenen Türen. Am folgenden Tag erscheint 
		Unterpräfect Dorsch von Cleve und lässt beide Kapellen entsiegeln und 
		wieder öffnen. 
		
		
Während im katholischen Spanien erbitterte 
		Widerstandshandlungen gegen die französischen Besatzer fast zum Alltag 
		gehören, ist es im Rheinland zunächst eher "ruhig" geblieben. Weniger 
		der Ärger mit den Beschränkungen der Religionsausübung führt schließlich 
		im Rheinland zu stärkerer Ablehnung der neuen Machthaber - vielmehr sind 
		es die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lasten, die Napoleon - 
		insbesondere im fünften Koalitionskrieg (bis 1809) - den Rheinländern 
		zumutet. 
		
		Nun steht auch noch sein Russland-Feldzug vor der Tür. Das 
		Roer-Departement wird steuerlich ausgepresst, um die militärischen 
		Ambitionen des Korsen finanzieren zu können. Außerdem sind die 
		Niederrheiner empört über den 1802 eingeführten allgemeinen 
		Militärdienst, den man hier bisher nicht gekannt hat. Wehrpflichtig ist 
		jeder Mann zwischen 20 und 25 Jahren. Erstaunlich: Von der Wehrpflicht 
		befreit sind u.a. Theologiestudenten und Mitglieder des Klerus.
		
		Seit dem 19. Februar 1806 sind die Kirchen und Klöster, die für den 
		Pfarrgottesdienst oder auch aus anderen Gründen unentbehrlich sind, 
		wieder freigegeben. Auch Wallfahrten mit Prozessionen sind wieder 
		erlaubt, sofern die Pilger keine Diözesangrenze überschreiten müssen. 
		Bis 1809 hat sich das Aufkommen weitgehend erholt: 140.000 Pilger werden 
		in jenem Jahr gezählt.
		
		Offene oder heimliche Zustimmung vieler Menschen am Niederrhein findet 
		eine der Konsequenzen aus den französischen Kirchen-Enteignungen: Die 
		Bistums-Leitungen sind nun "entfeudalisiert" - manche sprechen gar von 
		"sozialisiert" und "demokratisiert". Der wohlhabende, meist adelige 
		rheinische Klerus muss sich künftig mit karger Besoldung aus zunächst 
		französischer, dann preußischer Staatskasse bescheiden. Die geistlichen 
		Fürstentümer im verblichenen Heiligen Römischen Reich, die mit 
		unangemessener Intensität über ungezählte Menschen haben Macht ausüben 
		können, gehören endgültig der Vergangenheit an.
		
		
		
Napoleon schätzt - während seines 
		späteren Verbannungsaufenthalts auf der Insel St. Helena - selbst ein, dass sein 
		Gesetzeswerk 
Code civil, mit dem er nach der Einführung am 21. 
		März 1804 entscheidend zur Modernisierung Deutschlands beiträgt, 
		bedeutsamer ist als seine 60 Siege auf den Schlachtfeldern Europas. 
		
		
		
Titelblatt der ersten Ausgabe des "Code civil". 
		Abbildung zitiert aus: Horst Möller, Fürstenstaat oder 
		Bürgernation. Deutschland 1763-1815, S. 561  
		
		
		Napoleon befindet sich auf der Höhe seiner Reputation und fühlt sich 
		bereits als Schöpfer eines französischen Empires, das sich über ganz 
		Europa erstreckt. Die während seiner Regentschaft nach dem Werk 
Code 
		civil geschaffenen Gesetzesbücher sind beeindruckend: 
		Zivilprozessordnung (Code de Procédure Civile, 1807), Handelsgesetzbuch 
		(Code de Commerce, 1808), Strafprozessordnung (Code d'Instruction 
		Criminelle, 1811) und Strafgesetzbuch (Code Pénal, 1811). Sein 
		Gesetzeswerk wird heute als einmalig in der europäischen 
		Rechtsgeschichte eingeschätzt.
		
		Aber Napoleon ist nicht nur Staatsmann, sondern auch Feldherr mit dem 
		Drang, über möglichst große Landflächen regieren zu können. 
		
		
Kaiser Franz II. (* 1768, † 1835), der letzte Kaiser 
		des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, kommt Napoleon zuvor: Er 
		nimmt 1804 den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich an, gründet 
		damit das Kaiserreich Österreich und stellt dem erwarteten 
		Frankreich-Empire einen souveränen Staat entgegen. Dadurch soll 
		Ranggleichheit mit Napoleons künftigem Kaiserreich hergestellt werden. 
		Als Franz I. regiert der Monarch bis 1806 zusätzlich auch unter seinem 
		Titel als "Erwählter Römischer Kaiser". In dem am 11. August 1804 
		proklamierten Kaiserreich Österreich sind alle habsburgischen Erblande 
		zusammengefasst. 
		
		

Einige Wochen zuvor, am 18. Mai 1804, hat der französische Senat den 
		Konsul Napoleon "durch die Gnade Gottes und die Gesetze der Republik zum 
		Kaiser der Franzosen" ausgerufen. Am 2. Dezember 1804 krönt sich in 
		Paris Napoleon Bonaparte in der Kirche 
Notre Dame selbst zum 
		Kaiser der Franzosen. Sein Kaisertum, das soll die Handlung wohl 
		ausdrücken, verdankt er sich selbst. Napoleon legt allerdings auch Wert 
		darauf, durch den Papst geweiht zu werden.
		
		
Krönung Napoleons zum Kaiser, Gemälde von Jacques Louis David 
		(Ausschnitt). 
		Abbildung zitiert aus: Horst Möller, Fürstenstaat oder 
		Bürgernation. Deutschland 1763-1815, S. 571
		
		Napoleon tritt im Herbst 1804 eine Besichtigungsreise an und besucht 
		auch die Städte Venlo, Straelen und Geldern, wo er auf Schloss Haag 
		übernachtet. 
		
		
Unterdessen geht das Gemetzel auf den Schlachtfeldern 
		weiter. Bei Austerlitz schlagen Napoleons Truppen am 2. Dezember 1805 
		die österreichisch-russischen Armeen vernichtend. Österreich muss am 26. 
		Dezember 1805 dem knallharten Friedensschluss von Preßburg zustimmen. Am 
		14. Oktober 1806 schlagen Napoleons Streitkräfte in der Dopppelschlacht 
		von Jena und Auerstedt das preußische Heer und vernichten damit das alte 
		Preußen: Wegen krasser Führungsfehler können französische Truppen in das 
		Land einfallen, und das preußische Offizierskorps, einst Sinnbild für 
		militärische Stärke und Disziplin, kapituliert auf jämmerliche Weise. 
		Das alte Preußen ist Vergangenheit. König Friedrich Wilhelm III. flieht 
		mit Familie und Hofstaat in den Osten seines Reichs. Die Soldaten des 
		preußischen Heers sind in alle Winde zerstreut. 
		
		Am 27. Oktober 1806 reitet der Kaiser der Franzosen nach dem Sieg über 
		die Preußen durch das Brandenburger Tor in Berlin. Preußen muss 1806 auf 
		den Rest des Herzogtums Kleve verzichten; für den Herzog von Kleve und 
		Berg bringt der Umbruch die Standeserhebung zum Großherzog von Berg und 
		die Ausweitung des Großherzogtums mit sich. 
		
		Auslöser für radikale Veränderungen im Kräfteverhältnis sind vor allem 
		die Gründung des 
Rheinbunds und das Ende des Deutschen Reichs. 
		Der 
Rheinbund, quasi ein (kleineres) Ersatzgebilde für das nun 
		untergegangene "Heilige Römische Reich Deutscher Nation", wird am 12. 
		Juli 1806 in Paris gegründet. Konsequenterweise legt Kaiser Franz am 6. 
		August 1806 die römische Kaiserkrone nieder, wozu ihn Napoleon zuvor 
		ultimativ aufgefordert hat. 
		
		Sechs Reichsstände (z. B. Länder wie Bayern oder Württemberg) sind mit 
		dem Kur-Erzkanzler - der den Titel eines "Fürsten Primas" annimmt - aus 
		dem Verbund "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" ausgetreten. An 
		die Stelle des Deutschen Reichs treten nun vier deutsche Staatengruppen, 
		die den 
Rheinbund bilden. Als die frühere Großmacht Preußen 
		1806 kollabiert, treten in den folgenden zwei Jahren alle deutschen 
		Staaten - außer Österreich, Rest-Preußen, Schwedisch-Pommern und 
		Dänisch-Holstein - dem 
Rheinbund bei. Nun ist er ein 
		Zusammenschluss von 39 Staaten mit 14,6 Millionen Einwohnern.
		
		Der 
Rheinbund lebt allerdings von Frankreichs Gnaden. Die 
		größeren 
Rheinbund-Staaten müssen Soldaten für die 
		napoleonischen Armeen stellen, die von dem Korsen 1809 gegen Österreich, 
		1812 gegen Russland und 1812/13 gegen eine alliierte Armee aus Preußen 
		und Russen eingesetzt werden.
		
		Der bislang als unbesiegbare geltende Napoleon kehrt vom Winterfeldzug 
		gegen Russland (1812) mit fast aufgeriebener Armee zurück. Trotzdem kann 
		er eine neue Truppe rekrutieren, muss aber die Rückeroberung des 
		Rheinlands durch ein wiedererstarktes Preußen hinnehmen (Völkerschlacht 
		bei Leipzig, 16. bis 19. Oktober 1813; Rheinübergang der Preußen unter 
		General Friedrich von Bülow bei Wesel, Dezember 1813). 
		
		Nun sind die "französischen Kevelaerer" wieder Preußen. Die Rheinländer 
		greifen kaum ein und belassen es bei den meisten Veränderungen, die die 
		Franzosen eingeführt haben.
		
		Zeitgleich kommt es zur Völkerschlacht bei Leipzig (16. Oktober 1813). 
		Unter französischem Befehl stehen 190.000 Soldaten (Franzosen, Sachsen, 
		Badener, Württemberger, Schweizer, Italiener und Polen), unter 
		alliierter Leitung warten über 200.000 Mann (Preußen, Österreicher, 
		Russen und Schweden) auf den Angriffsbefehl. Es ist die größte 
		militärische Konfrontation zweier Streitmächte in der bisherigen 
		Kriegsgeschichte Europas.
		
		Zunächst scheint es, als könne sich Napoleon behaupten. Seine 
		Kavalleristen schaffen es sogar beinahe, die auf einem Beobachtungshügel 
		versammelten Monarchen - Kaiser Franz II. von 
		Österreich, Zar Alexander I. von Russland und Preußens König Friedrich 
		Wilhelm III. - gefangen zu nehmen. Jedoch fahren Kosaken unverzüglich einen 
		kühnen Gegenangriff und verhindern die Gefangennahme. Der scheinbare 
		Sieg Napoleons in Leipzig ist in Wirklichkeit eine blutige Niederlage, 
		die zum ersten Mal den preußischen Widerstand gegen die französische 
		Besatzung massiv beflügelt. 
		
		
Die napoleonische Herrschaft ist Ende 1813 vorbei, auch 
		wenn Preußen am 18. Juni 1814 in der Schlacht von Waterloo doch noch ein letztes 
		Mal gegen den Korsen ins Feld ziehen muss. Bereits im Frühjahr 1814 
		nimmt am Niederrhein die preußische Verwaltung ihre Arbeit auf. Der 
		Rhein ist nun keine Grenze mehr. Jedoch nicht alle Niederrheiner sind 
		darüber glücklich: Das überwiegend von Katholiken bewohnte Rheinland 
		gehört nun zu einem Staat, in dem überwiegend Protestanten leben. Was 
		von Preußen zu erwarten ist, wissen sie noch nicht. 
		
		Anfang 1814 wird der Niederrhein von den französischen Soldaten geräumt. 
		Etwa am 12. Januar 1814 rücken die ersten Kosaken in einige Orte im 
		heutigen Kreis Kleve ein, so auch in Twisteden. Sie gehören zu den mit 
		Preußen Verbündeten. Am 13. Januar, gegen 11.30 Uhr, reiten die Kosaken 
		auf ihren kleinen Pferden vom Harttor aus in die Stadt Geldern, wo die 
		Soldaten stationiert werden. 
		
		Napoleon dankt ab. Die verbündeten Mächte schließen am 30. Mai 1814 mit 
		dem neuen französischen König Ludwig XVIII. Frieden.
		
		
Auf dem Wiener Kongress, dessen Schlussakte vom 9. Juni 
		1815 datiert, wird die europäische Landkarte neu gezeichnet. Preußen 
		tritt alle Gebiete westlich der Maas und einen Landstreifen von einer 
		halben Meile Breite östlich des Flusses an das 
		
Königreich der 
		Vereinigten Niederlande ab. Es ist der gleiche Grenzverlauf, der heute 
		die Bundesrepublik Deutschland von den Niederlanden trennt. Die Preußen 
		setzen die Einsprachigkeit durch und verlangen, dass die Einwohner 
		deutsch sprechen. 
		
		Das wird Anfang der 1820er-Jahre auch der Bischof von Münster von seinen 
		Pfarrern am Niederrhein verlangen, sobald das Gebiet zwischen Rhein und 
		Maas von Aachen abgekoppelt und dem Bistum Münster zugeordnet ist. 
		Dadurch geht allerdings das angestammte Niederländisch der 
		westlichen Rheinländer im Laufe der Zeit verloren. 
		
		Das "französische" Bistum Aachen, dem Kevelaer zugeschlagen ist, wird 
		aufgelöst. Der Niederrhein gehört nun, so verfügt es eine päpstliche 
		Bulle vom 16. Juni 1821, zum Bistum Münster, was allerdings erst am 20. 
		Oktober 1823 vollzogen wird. 
		
		Für die Wallfahrtsleitung in Kevelaer hat die "Franzosenzeit" bis heute 
		einschneidende Nachwirkungen: Der Rektor der Kirchen am Kapellenplatz, 
		der bis 1802 stets ein Orator-Herr, ein Pater aus dem 
		Oratorianer-Kloster, gewesen ist, kommt seit der Säkularisation aus der 
		Reihe der Weltpriester. 
		
		Der Versuch, mit dem 
Canisianer-Orden 
		für die Wallfahrtsleitung eine neue Priester-Genossenschaft ins Leben zu 
		rufen, hat nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Canisianer sind 
		zwar bis heute in Kevelaer engagiert, aber es handelt sich 
		ausschließlich um Brüder und nicht um Geistliche.
		
		Nach der Wiedereingliederung der Rheinlande in die preußische 
		Provinzialverwaltung gelingt es zunächst kaum, preußisches Recht 
		durchzusetzen. Der 
Code Napoléon (
Code civil) ist in 
		den rheinischen Departements mehr als nur akzeptiert. 
		
		

Napoleons Gesetzeswerk macht den Korsen zu einem großen Reformer - zu 
		einem der Väter des modernen Deutschlands. Aber er ist es nicht allein. 
		
		
		
Minister Hardenberg (l.), zum Stein. 
		Abbildung zitiert aus: Horst Möller, Fürstenstaat oder Bürgernation. 
		Deutschland 1763-1815, S. 614, 615 
		
		Die preußischen Minister zum Stein (Heinrich Friedrich Karl 
		Reichsfreiherr vom und zum Stein, * 1770, † 1840) und Hardenberg (Karl 
		August Freiherr von Hardenberg, * 1750, † 1822) haben längst Reformen in 
		die preußische Politik und Gesellschaft eingebracht und sind dabei vom 
		preußischen König stark unterstützt worden. 
		
		So sind nun alle Bürger Preußens vor dem Gesetz gleich; Leibeigenschaft 
		und Frondienst gibt es nicht mehr. Kaufleute nutzen die Chancen, die die 
		neue Gewerbefreiheit bietet. Und alle Bürger, die ins Erwerbsleben 
		einsteigen, genießen das Recht der freien Berufswahl.
		
			
				
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				Für dieses Dossier wurde u.a. folgende Literatur 
				benutzt: 
				 
				• Jörg Becker/Karl-Heinz Tekath (Hrsg.), 1794-1814, Franzosen am 
				unteren Niederrhein. Heimat- und Verkehrsverein Goch, 1994. 
				• Ludwig Bergmann (Kleve), Wallfahrtsorte und 
				Wallfahrtsbrauchtum am unteren Niederrhein. Werden und Wachsen 
				einer Kultlandschaft (Doktorarbeit). Kevelaer 1949. 
				• Peter Dohms, Rheinische Katholiken unter Preussischer 
				Herrschaft - Die Geschichte der Kevelaer-Wallfahrt im Kreis 
				Neuss. Meerbusch 1993. 
				• Alois van Doornick, Hermann Toonen, Rudi van Bühren, 450 Jahre 
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