Wirriger, Fritz
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		Lehrer, 
		Sportler und Sportfunktionär in Kevelaer | * 1890 | † 1967
		
		
Fritz 
		Wirriger stellte beinah sein ganzes Leben in den Dienst des Sports, war 
		über Jahre eine der engagiertesten Persönlichkeiten in Kevelaer und 
		starb dennoch vereinsamt.
		
		Fritz Wirriger kommt 1890 in Dortmund zur Welt. Er wird im Ersten 
		Weltkrieg nicht eingezogen, obwohl er kerngesund ist. Er studiert 
		Pädagogik und heiratet 1916 Meta Feeser in Schneidemühl. Beide haben mit 
		Kevelaer zunächst nichts zu tun. Das ändert sich 1919, als der 
		Junglehrer hier nach längerer Arbeitslosigkeit eine Stelle zugewiesen 
		bekommt.
		
		Wirriger tritt aus Überzeugung dem katholischen Jungmännerverband bei: 
		Von seiner Mutter, einst vom evangelischen zum katholischen Glauben 
		konvertiert, hat er eine tiefe Religiosität übernommen, die sein ganzes 
		Leben begleiten wird. Er entwickelt eine ungewöhnlich starke Beziehung 
		zu Gnadenort und Gnadenbild. Er wird, so erinnert sich seine Tochter 
		Hannelore Kilian aus Hameln 1999, „Kevelaerer durch und durch und hat 
		auch später, als er wegzieht, nur Kevelaer im Kopf“.
		
		Fritz Wirriger wird zum Jahresbeginn 1920 an der St.-Hubertus-Schule 
		fest angestellt. Kaplan Huskamp kann ihn schon bald für seine 
		Leidenschaft, den Sport, gewinnen. Fritz Wirriger findet Gefallen an 
		turnerischen Leibesübungen und erkennt, wie gut es sich für die 
		Jugenderziehung nutzen lässt. 
		
		Er will für die „Leibesübungen“ eine breite Basis in der jungen 
		Bevölkerung schaffen. Für seine Ziele begeistern sich viele Mitglieder 
		des 
Turnvereins.
		
		Es bilden sich auf Initiative und unter Leitung von Fritz Wirriger in 
		den 1920er-Jahren fest gefügte Gruppen von Turnern, Leichtathleten, 
		Fußballspielern und Schwimmern, wobei das Turnen stets Grundlage bleibt. 
		Geselligkeit und Wandern kommen nicht zu kurz. Wirriger reist mit den 
		Jugendlichen an Mosel und Rhein und quer durch Deutschland - nach 
		Würzburg, Fulda, an den Bodensee und an die Nordsee: damals etwas 
		Außerordentliches.
		
		Derweil wächst Wirrigers Familie, die an der Rheinstraße eine Wohnung 
		bezogen hat. Seine Frau bringt fünf Kinder zur Welt: Heinz (1923 
		geboren), Hildegard (1925) und Hannelore (1926); 1929 kommt noch ein 
		Sohn nach. Ein fünftes Kind verlieren die Eltern mit drei Jahren.
		
		Erste große Erfolge der Turner stellen sich ein. Nun nehmen sich
		
Jakob 
		Croonenbroeck und Fritz Wirriger, der zum Leiter der 
		TuS-Sportabteilung ernannt worden ist, die Leichtathletik vor und wollen 
		sie in Kevelaer populär machen. Der erste Leichtathletik-Kader wird aus 
		„arbeitslosen“ Schlagball-Sportlern gebildet, die - Meister am 
		Niederrhein - keine gleichwertigen Gegner mehr finden. 
		
		Aus den laufstarken Schlagballern entwickeln sich Kevelaers erste 
		Leichtathleten. 1921 feiert in der Marienstadt ein Leichtathletik-Fest 
		Premiere. Die Wettkämpfe werden auf dem Sportplatz des Jugendvereins an 
		der Weezer Straße ausgetragen. Mittel- und Langstrecken laufen die 
		Athleten auf der „Chaussee“ (Weezer Straße). Die Sieger tragen Namen, 
		die man noch heute kennt: Ludwig Artz,
		
Ludwig Freudenhammer, 
		Franz Plümpe, Paul Looschelders, Bernd Riswick, Alois Stappers, Franz 
		Vorfeld und Gerd Tebartz. 
		
		Wirriger gehört zu den Gründern der „Deutschen Jugendkraft“, die 1921 in 
		Düsseldorf auf Betreiben des Generalpräses Mosterts aus Goch ins Leben 
		gerufen wird - ein katholisch ausgerichteter Sportverband, der bis heute 
		lebendig ist und beispielsweise in Twisteden eine starke Dependance in 
		der DJK Schwarz-Weiß hat. Noch im selben Jahr ruft Wirriger in Kevelaer 
		den ersten Sportverein nach dem Kodex der Deutschen Jugendkraft ins 
		Leben.
		
		Die DJK Kevelaer nennt sich „VfL Roland“, ein Name, der den Teilnehmern 
		einer Helgoland-Fahrt bei der Besichtigung des Roland-Denkmals vor dem 
		Bremer Rathaus in den Sinn gekommen ist. 
		
		Der Lehrer verschließt sich nicht, als ihn die Kevelaerer Kolpingfamilie 
		im Dezember 1923 bittet, im Verein die Aufgaben des erkrankten 
		Vizepräses Hoever zu übernehmen. Zwei Wochen später stirbt Wirrigers 
		Lehrerkollege Hoever. Wirriger wird das Kolping-Amt bis 1933 innehaben.
		
		
		Als hätte er nicht genug Arbeit, willigt er 1924 in seine Wahl zum 
		Leiter des DJK-Gaus „Herzoglande“ ein, der die Kreise Kleve, Geldern und 
		Moers umfasst. Im September desselben Jahrs eröffnet er den neuen 
		Sportplatz an der Walbecker Straße, der maßgeblich von ihm 
		vorangetrieben worden ist. Und die Ausdehnung des DJK-Gedankens geht 
		weiter: 1925 werden, initiiert durch Wirriger, in Wetten, Kervenheim, 
		Veert und anderen Ortschaften in der Region Vereine gegründet.
		
		Als sich 1933 die Fusion zwischen dem „VfL Roland“ und dem Turnverein 
		Kevelaer zum „TuS Kevelaer 1890 e. V.“ abzeichnet, ist Fritz Wirriger 
		ihre treibende Kraft und ihr Architekt. 
		
		Fritz Wirriger wird stellvertretender Vorsitzender des ersten Kevelaerer 
		Großvereins im Sport unter dem Vorsitz von Heinrich Daniels. 1937, ein 
		Jahr nach seinem 25-jährigen Lehrerjubiläum, wird Fritz Wirriger zum 
		ersten Vorsitzenden des „TuS Kevelaer“ gewählt (er wird bis 1945 im Amt 
		bleiben). 1938 wird ihm die Ehre angetragen, bei der 30. gemeinsamen 
		Kirmes für den TuS die Festkette der Geselligen Vereine zu tragen. Sie 
		wird ihm Ende Mai umgelegt - anderthalb Jahre vor Kriegsausbruch.
		
		Was niemand weiß: Der völlig überlastete Lehrer zerreißt sich in seiner 
		Verantwortung für die eigene Familie und die ungezählten Kinder und 
		Jugendlichen, die ihn als Pädagogen und noch mehr als Sportpromoter in 
		Beschlag nehmen. „Um uns Kinder hat sich unser Vater am wenigsten 
		gekümmert“, erinnert sich seine Tochter. „Ihm ging der Sport immer vor. 
		Und abends schrieb er Artikel für die Vereinszeitschrift ‘Der 
		TuS-Kamerad’ und für das Kävels Bläche. Wir durften ihm nicht mit 
		unseren Schularbeiten kommen.“
		
		Fritz Wirriger, 1939 zum Kreissportführer ernannt, gibt ab Juni dieses 
		Jahres das Vereins-Mitteilungsblatt „Der TuS-Kamerad“ heraus, das 
		zunächst nur der Kommunikation unter den Sportlern dient, dann aber, 
		fast vergleichbar mit der offiziellen „Soldaten-Zeitung“ aus Kevelaer 
		(„Et Nejste von t´hüss“), zu einer wichtigen Brücke von der Heimat zur 
		Front wird. Über 500 Exemplare werden von der Monatsschrift verschickt. 
		1940 wird Wirrigers Einsatz für den Sport mit der großen Ehrennadel des 
		Reichsbundes für Leibesübungen geehrt.
		
		Es kommt der Januar 1941, und noch immer haben TuS-Vorsitzender Fritz 
		Wirriger und sein Jugend-Obmann
		
Willy Probst 
		die Illusion, dass es kein Staatsverbrecher ist, der Deutschland in den 
		Krieg geführt hat. Auf der Jahreshauptversammlung des TuS Kevelaer am 
		Samstag, 25. Januar, im Saal des Vereinslokals Aengenheyster, ruft 
		Probst aus: „Kameraden an der Front und in der Heimat, es gilt jetzt das 
		hohe Ziel zu erreichen. Den Sturmriemen herunter, die Hände gereicht. 
		Wer will im Gleichklang der Herzen und der Schritte da nicht mitmachen? 
		- wenn uns einer Richtung und Ziel gibt, dem unsere Herzen in 
		unverbrüchlicher Treue schlagen, unserem Führer Adolf Hitler.“
		
		Monat für Monat gibt Wirriger Nachrichten von der Front und aus der 
		Heimat in der Druckerei Köster an der Hauptstraße in Satz.
		
		„Für den Führer und das Deutsche Volk starb den Heldentod unser lieber 
		Kamerad Obergefr. Fritz Feger. Seit Beginn des Krieges kämpfte er im 
		Westen und Osten in vorderster Linie in beispielhafter Tapferkeit. Er 
		gehörte zu den ersten Kevelaerern, die mit dem Eisernen Kreuz und dem 
		Inf.-Sturmabzeichen ausgezeichnet wurden. Am 17. September 1941 
		vollendete er in einem siegreichen Gefecht bei Jablonowo in Rußland im 
		Alter von 27 Jahren sein junges Leben. Seit seinen Jugendjahren stand er 
		in unseren Reihen, war uns allen ein treuer und lieber Kamerad. Sein 
		Heldentod ist Vollendung und Krönung seines Lebens und seines Einsatzes 
		für Deutschland. Sein Andenken wird in unserer Arbeit weiterleben. 
		(Wirriger)“ [Der TuS-Kamerad 10/1941]
		
		In den letzten Monaten vor dem Zusammenbruch und der Befreiung durch die 
		Alliierten hilft Fritz Wirriger unter Josef Hummels, der für die 
		Schulleiter Goldschmidt (Pensionierung) und Enno Brese (Einberufung zur 
		Wehrmacht) die Leitung des Kevelaerer
		
Gymnasiums 
		übernimmt, als Pädagoge am Gymnasium aus.
		
		Als Kevelaer gegen den zum Teil erbitterten Widerstand der verbliebenen 
		Einwohner zwangsevakuiert wird, reist die Familie von Fritz Wirriger 
		nach Hoyll bei Osnabrück zu Verwandten. Er selbst, der am Ersten 
		Weltkrieg nicht und am Zweiten noch nicht als Soldat teilgenommen hat, 
		wird als 55-jähriger Mann zum Volkssturm eingezogen.
		
		Wirriger überlebt die Endphase und kann unmittelbar nach Kriegsende zu 
		seiner Familie nach Hoyll fahren, wo er zum Glück gleich eine 
		Lehrerstelle findet.
		
		Allerdings endet das Glück im Leben des Fritz Wirriger hier für lange 
		Zeit. Der Lehrer wird beschuldigt, er sei Nazi gewesen, wird 
		unverzüglich vom Schuldienst suspendiert und sieht seinem 
		Entnazifizierungsverfahren entgegen. Die Vorwürfe sind, das stellt sich 
		bald heraus, nicht aufrechtzuhalten, aber der Schmerz, denunziert worden 
		zu sein, sitzt tief. Wirriger, bis dahin ohne Stelle, zieht 1948 mit 
		seiner Familie in den kleinen niedersächsischen Ort Aschendorf, wo er 
		zwar wieder als Lehrer arbeiten darf, aber unglücklich ist. Er will 
		unbedingt zurück nach Kevelaer.
		
		Hier ist der junge Willy Probst seit Juni 1945 dabei, im Sinne seines 
		Lehrers Wirriger die „übergebliebenen“ TuS-Mitglieder zu sammeln. Probst 
		stellt den Verein auf eine neue Grundlage. 
		1952 setzen sich Fritz Wirriger und seine Frau im Emsland auf einen 
		Kohlenzug und kommen nach abenteuerlicher Fahrt am Kevelaerer Bahnhof 
		an. Um von Aschendorf wegzukommen, hat er sich krankschreiben lassen. Er 
		will nicht mehr in den Schuldienst zurück und betreibt seine 
		Pensionierung. Was er will, ist die Rückkehr nach Kevelaer. Nach der 
		Stippvisite 1952 dauert es noch ein Jahr, bis Wirriger am Ziel ist: Er 
		ist pensioniert und zurück in der Marienstadt.
		
		Bei ihrer Übersiedlung nach Kevelaer besitzt die Wirriger-Familie nichts 
		bis auf das, was sie bei sich trägt. In dem Haus an der Friedenstraße, 
		das sie zuletzt bewohnt hat, kann sie nicht unterkommen, weil es 
		zerstört ist. Aber sie findet hier ihre alte Katze wieder, die Krieg und 
		Nachkriegszeit überlebt hat. Ihre Möbel, die bei der Evakuierung 
		zurückgelassen worden sind, liegen, mit der Axt zerschlagen, als Müll 
		herum. Wirrigers engster Freund, Karl Brocks sen., der ein Unternehmen 
		für Fleischereibedarf an der Marktstraße betreibt, hilft der Familie und 
		unterstützt sie finanziell. Wirrigers TuS-Kameraden organisieren Möbel 
		für die Heimkehrer, die zunächst gegenüber dem Bahnhof (Ecke 
		Antoniusstraße) unterkommen; später ziehen sie in ein Doppelhaus an der 
		Kroatenstraße gleich neben der Turnhalle.
		
		Die Familie hat sich kaum eingerichtet, da ist Wirriger bereits wieder 
		erster Vorsitzender des TuS Kevelaer. Er wirft sich mit ganzer Energie 
		auf den Neuaufbau der Sportlandschaft in der Region und erreicht, dass 
		Mitte der 50er-Jahre das Kreisjugendheim in Kevelaer gebaut wird, für 
		das seit 1949 Willy Probst und Architekt Walter Toubartz vorgearbeitet 
		haben. Wirriger wird mit der höchsten Auszeichnung, die der TuS zu 
		vergeben hat, der Silberplakette, geehrt. Der Westdeutsche 
		Fußballverband verleiht ihm 1957 die Goldene Ehrennadel. 
		
		Es naht das Jahr 1960, und Wirriger geht auf die 70 zu. „Die Seele des 
		Turn- und Sportvereins“, so wird er im Verein bezeichnet, kündigt nach 
		40-jährigem Einsatz für den TuS seinen Rücktritt vom Amt des ersten 
		Vorsitzenden an, das Rektor Josef Pauels übernehmen wird. „Uns allen 
		bleibt dabei nur die Hoffnung, dass er noch sehr schöne und viele Jahre 
		in unserer großen Gemeinschaft verbringen kann, der er mit ganzem Herzen 
		und mit seiner ganzen Seele angehört. Möge der Herrgott ihm noch recht 
		viele schöne Jahre schenken, damit er sich am weiteren Aufstieg des 
		Werkes, an dem er jahrzehntelang mitarbeiten durfte, immer erfreue“, 
		notiert 1959 Vereinschronist Jakob Croonenbroeck.
		
		Aber es kommt anders. Fritz Wirriger, mit dessen Gesundheit es seit dem 
		Krieg kontinuierlich bergab gegangen ist, verliert mit dem Abschied aus 
		der Vereinsarbeit den Dreh- und Angelpunkt seiner immer wieder 
		reaktivierten Energie. Seine gesellschaftlichen Kontakte aus der Zeit 
		vor dem Krieg sind nicht mehr da, in der Sportszene, für die er gelebt 
		hat, ist er nur noch Zuschauer. Die Kinder sind längst aus dem Haus, und 
		Wirriger, dessen Frau ebenfalls krank geworden ist, vereinsamt mitten 
		unter seinen vielen Bekannten aus dem Sportleben. Er ist zeitweise 
		allein in der Wohnung und nur dann rundum glücklich, wenn ihn seine 
		Kinder besuchen. Sie spüren, wie ihre kranken Eltern kaum noch allein 
		zurechtkommen, und können sie - 1966 - dazu überreden, Kevelaer zu 
		verlassen und nach Limburg an der Lahn zu einem der Kinder zu ziehen.
		
		
		Das Drama bekommt in der Marienstadt kaum jemand mit. Fritz Wirriger 
		verlässt Kevelaer mit Tränen in den Augen, weil er weiß, dass er nicht 
		mehr zurückkehren wird. In der kurzen Zeit, die er mit seiner Frau Meta 
		in Limburg noch leben wird, bricht nach Jahrzehnten des Einsatzes für 
		andere seine Liebe zu seinen Kindern wie eine Eruption hervor. Er 
		überschüttet sie mit Beweisen seiner Zuneigung, schickt ihnen Gedichte 
		und zeigt ihnen, dass sie im Mittelpunkt seines Lebens stehen. Als er 
		1966 mit Meta in Limburg die Goldene Hochzeit feiert, fühlen die Eltern 
		und ihre Kinder zum ersten Mal seit sehr langer Zeit, dass sie eine 
		richtige Familie sind. Das späte Glück versöhnt und gleicht manche 
		Entbehrung aus.
		
		Fritz Wirriger stirbt Ende Dezember 1967. Die traurige Nachricht ruft 
		viele Kevelaerer nach Limburg zum Friedhof, auch eine Abordnung des TuS 
		Kevelaer, die mit der Vereinsfahne den Toten auf seinem letzten Weg 
		begleitet. Ein Jahr später stirbt seine Frau.n