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		Auf dem Bau läuft nichts mehr. Der im Januar einsetzende Frost macht 
		Bauhandwerker arbeitslos. Das gesamte Gewerbe liegt buchstäblich auf 
		Eis.
		
		Am 2. Januar eröffnet
		
Dr. Wilhelm 
		Wolfgarten seine Praxis an der Hauptstr. 18. Der Arzt ist kurz zuvor 
		aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. Nun übernimmt er die Praxis 
		seiner Frau Josefine.
		
		Der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung im Kreis beträgt schon 
		fast zwölf Prozent. Allerorten sind Heimatlose unterzubringen. Das 
		Problem beginnt die junge Bundesrepublik zu überfordern. Bundespräsident 
		Theodor Heuss bittet die westlichen Demokratien (2.1.), Deutschland 
		beizustehen. Acht Millionen Deutsche seien seit Kriegsende aus dem Osten 
		geflüchtet. Die Westmächte müssten ihre Haltung aufgeben, dass dies eine 
		rein deutsche Angelegenheit sei.
		
		Die Kreisverwaltung ist besorgt, weil von über 2.000 zugewiesenen 
		Flüchtlingen im Jahr mehr als die Hälfte dauerhaft bleiben soll. Die 
		meisten stammen aus Gebieten östlich der Oder-Neisse-Linie.
		
		Sehnsüchtig warten die Familien auf die Freilassung der 
		Kriegsgefangenen. In Köln fordert Kardinal Frings in einer Predigt die 
		Welt auf, die deutschen Kriegsgefangenen zu amnestieren, die im Ausland 
		unter Anklage von Kriegsverbrechen stehen.
		
		
Über ihre Verstrickung in das Nazi-Regime reden die 
		Deutschen kaum. Wer mehr als nur Mitläufer war, projiziert die Schuld an 
		der Katastrophe auf die oberste Führung des Dritten Reichs und speziell 
		auf Adolf Hitler. Der habe die Deutschen verführt. Eine moralische oder 
		auch nur politische Aufarbeitung der Nazi-Zeit findet nicht statt, erst 
		recht nicht unter den 8,5 Millionen ehemaligen Mitgliedern der NSDAP. 
		Die neuen Parteien meiden die Konfrontation mit ihnen. Erst viele Jahre 
		später greift die Erkenntnis Raum, dass der Nationalsozialismus durch 
		und durch verbrecherisch gewesen ist. Jetzt aber, in der noch jungen 
		Nachkriegszeit, erliegen viele dem Trugbild, die NS-Ideen seien nicht im 
		Ursprung, sondern in der Ausführung schlecht gewesen. 
		
		Die Appelle zur Freilassung der Kriegsgefangenen verhallen. John McCloy, 
		der amerikanische Hochkommissar, betont, dass eine allgemeine Amnestie 
		von Kriegsverbrechern nicht in Frage komme. Würde er einige 
		Kriegsverbrecher frei lassen, wäre die Legalität der anstehenden 
		Kriegsverbrecherprozesse in Frage gestellt. Gleichwohl werden vereinzelt 
		Angeklagte amnestiert. Die Prozesse konzentrieren sich in den folgenden 
		Jahren auf jene, denen monströse Taten vorgeworfen werden. 
		
		Mitte Januar kündigt der Leiter der Rechtsabteilung bei der sowjetischen 
		Kontrollkommission die Freilassung von 8.000 Häftlingen aus den 
		ehemaligen KZ-Lagern Sachsenhausen und Buchenwald an. Entlassen werden 
		ausschließlich Personen, denen nicht mehr als Parteimitgliedschaft oder 
		Tätigkeit im NS-Staatsdienst vorgehalten werden. Der Zentralvorstand der 
		SED hat zuvor die Sowjetbehörden gebeten, die Internierungslager auf dem 
		Gebiet der DDR aufzulösen.
		
		Fast 500 Entlassene aus Kriegsgefangenschaft sind allein 1949 in den 
		Kreis Geldern zurückgekommen - vor allem Russland-Heimkehrer. Sie 
		erhalten ab 1950 eine Entlassungsbeihilfe von 50 Mark und ein 
		Überbrückungsgeld von 250 Mark. Die Bevölkerung spendet zudem bei Haus- 
		und Straßensammlungen von Hilfsorganisationen. 
		
		Das Deutsche Rote Kreuz organisiert ein Treffen für Heimkehrer im 
		Amtsbezirk Kevelaer. Bürgermeister Peter Plümpe heißt sie in der 
		Wallfahrtsstadt willkommen und wünscht ihnen, dass sie „nun, in die 
		Heimat und die Familie wieder glücklich heimgekehrt, mutig ihr Leben neu 
		gestalten“.
		
		Kaplan Paul Güllmann, einer der Heimkehrer, weist auf die Verurteilungen 
		von Soldaten in Russland hin. Es sei die besondere Pflicht aller 
		Heimkehrer, „vor die Welt hinzutreten und flammenden Herzens Sturm zu 
		laufen gegen die Schandurteile, durch die manche der Kameraden zu 
		jahrelangen Freiheitsentziehungen verurteilt wurden“. 
		
		Übliches Urteil für deutsche Soldaten in russischen Lagern: 25 Jahre 
		Zwangsarbeit.
		
		In Wetten feiert anlässlich der Heimkehr des letzten Kriegsgefangenen - 
		Heinz Weymanns - das ganze Dorf.
		
		
Der Wallfahrtsort bereitet sich derweil auf ein anderes 
		Fest vor: 60 Jahre ist der Sportverein
		
TuS 
		Kevelaer nun alt. Die Stadt gibt einen Empfang im Sitzungssaal des 
		Rathauses, bei dem Bürgermeister
		
Peter Plümpe 
		dem Vereinsvorsitzenden
		
Willy Probst 
		gratuliert. In der Turnhalle an der Kroatenstraße werden Turnübungen 
		gezeigt. Der Tag schließt mit einem rauschenden Fest im Saal des Hotels
		
Dreikönige. Hier werden die noch lebenden TuS-Mitgründer 
		Hermann van Straelen, Heinrich Heyden, Gerhard van Gisteren und Matthias 
		Laermann zu Ehrenmitgliedern ernannt.
		
		In der Zeitung, die darüber berichtet, ist auch diese Meldung zu lesen: 
		Die sterblichen Überreste von Grete van Vorst aus Twisteden, 
		Hausangestellte bei einer Familie an der Bahnhofstraße in Geldern, sind 
		bei Aufräumungsarbeiten gefunden worden. Die Frau ist seit einem 
		Bombenangriff Anfang 1945 auf Geldern vermisst gewesen. 
		
		
Ende Januar ist es vorbei mit der Bewirtschaftung von 
		Lebensmitteln. Mit Ausnahme von Zucker gibt es keine Rationierungen 
		mehr. Jetzt darf auch jeder schlachten, der was zum Schlachten besitzt. 
		Mangels Arbeit wird das Kreisernährungsamt aufgelöst - zwei Monate vor 
		dem landesweit verfügten Ende der Bewirtschaftung. Auch die besonderen 
		Bezugsscheine für Krankenhäuser werden eingestampft. Sie wurden zuletzt 
		nicht mehr abgerufen, weil der freie Markt bereits funktionierte. Und 
		noch etwas wird eingestellt: Die Kreisverwaltung lässt noch laufende 
		Straf- oder Bußgeldverfahren aus der Zeit der 
		Lebensmittel-Bewirtschaftung auf sich beruhen.
		
		Die britische Dienststelle der Besatzungsmacht für den Kreis Geldern 
		wird Ende Januar stillgelegt. Trotzdem bleiben die Briten vor Ort: In 
		Twisteden wird zum Entsetzen vieler Einwohner ein riesiges Waldgelände 
		konfisziert. Der gezahlte finanzielle Ausgleich wird vom Twistedener 
		Gemeinderat für einen etwaigen späteren Rückkauf des Geländes 
		zweckgebunden geparkt.
		
		„Es herrschte Bestürzung“, erinnert sich der Twistedener Karl van de 
		Braak. „Ohnmächtig sahen wir dem weiteren Schicksal des Waldes 
		entgegen.“ Gerodete Flächen werden zu Munitionsdepots ausgebaut. 
		„Tatenlos und fassungslos mußten wir Bürger zusehen, wie endlose 
		Kolonnen großer Lastwagen unseren Wald, in etwa zwei Meter lange 
		Stammstücke zersägt, abtransportierten. Was übrig blieb, war im wahrsten 
		Sinne ein Verbrechen an der Natur. Wo vor ein paar Jahren noch eine 
		gesunde, lebendige Natur war, ist jetzt alles öd und tot.“ Nicht von den 
		Briten, sondern von den Amerikanern werden auf dem Gelände Jahre danach 
		über 300 Munitionsbunker gebaut werden, die heute den Grundstock für das 
		dort angesiedelte Unternehmen Traberpark Den Heyberg bilden.
		
		Militärische Einrichtungen bleiben nicht auf Twisteden beschränkt. Für 
		Weeze ist bereits 1950 ein Flughafen in Gespräch, dessen Planungen die 
		Gemeinderverwaltung in den folgenden zwei Jahren beschäftigen, bis das 
		Airport-Projekt Anfang 1953 konkret wird. Für die heimische Bauindustrie 
		sind die Großbaustellen ein Segen. Paul-Peter Tebartz, Bauunternehmer in 
		Kevelaer, erinnert sich, dass erst mit diesen Großaufträgen ein 
		„Aufschwung nach harten Jahren“ eintritt.
		
		Bescheiden sind die Fortschritte, die das Büchereiwesen im Kreis Geldern 
		macht. Der Hauptausschuss des Kreises genehmigt weitere 1.850 Mark für 
		die Anschaffung von neuen Büchern, so dass insgesamt knapp 12.000 Mark 
		für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Die Bücher sollen in den beiden 
		Ortsbüchereien Kevelaer und Weeze sowie in der Kreisstützpunktbücherei 
		in Geldern ausgeliehen werden. Jede dieser Einrichtungen bekommt für den 
		Anfang 500 Bücher. Die Eröffnung der Bücherei in Kevelaer verzögert 
		sich, weil die vorgesehenen Räume noch von Flüchtlingen bewohnt werden.
		
		
Februar 1950
		
		Die Arbeitslosenquote steigt auf 14 Prozent. In Bonn wird Bundeskanzler 
		Adenauer nachgesagt, er denke an eine Ablösung seines 
		Wirtschaftsministers Erhard. Dazu kommt es nicht.
		
		In Kevelaer nimmt Rektor Franz Bourgeois seinen Abschied. Der 65-jährige 
		Leiter der Marktschule tritt in den Ruhestand - nach 37 Schuljahren in 
		Kevelaer. Der Pädagoge hat neben dem Schuldienst das Jugendwandern 
		belebt und maßgeblich zur Errichtung der Jugendherberge beigetragen; ihm 
		haben nicht nur seine Schüler, sondern auch Handwerker am Herzen 
		gelegen. Er hat sie in der gewerblichen Schule Kevelaers, einer 
		Vorgängerin der Kreisberufsschule, unterrichtet. Und bis zu ihrer 
		Auflösung 1949 ist er Leiter der ländlichen Berufsschule Kevelaer 
		gewesen.
		
		In der Kerzenkapelle heiraten Johanna und
		
Willi Kocken. 
		Pfarrer 
		Heinrich Maria Janssen segnet das Brautpaar.
		
		
		
Wann 
		denn endlich mit dem Schild gerechnet werden dürfe, fragt 
		Ratsmitglied Brauers (CDU) in einer Sitzung des Stadtrats: Der neue Name 
		des Bahnhofsvorplatzes, „Kardinal-von-Galen-Platz“, soll durch ein 
		künstlerisches Schild kenntlich gemacht werden. So hat es der Rat 
		beschlossen. Aber Geld ist keines vorhanden. Die Anschaffung wird aufs 
		folgende Jahr verschoben.
		
		
Das geschnitzte Schild 
		"Graf-von-Galen-Platz". Es wird erst 1951 aufgestellt werden.
		
		Energisch wird dagegen ein sehr viel größeres Projekt durchgezogen: 
		Kevelaers Handwerker, die Mitglieder der St.-Josef-Bruderschaft von 1750 
		sind, haben die im Krieg zerbombte, von Friedrich Stummel gezeichnete 
		Josefskapelle an der Ecke Twis-tedener/Kroatenstraße mit eigenen Mitteln 
		neu aufgebaut. Im Jahr des 200-jährigen Bestehens ihrer christlichen 
		Bruderschaft ist unter der Präsidentschaft von Karl Daniels eine neue 
		Kapelle entstanden, die am 12. Februar geweiht wird. Treibende Kraft ist 
		vor allem Schreinermeister Johann Willems gewesen, der einen großen Teil 
		der notwendigen Vorbereitungen übernommen hat. 
		
		Der Festtag beginnt mit einer heiligen Messe in der Kerzenkapelle; dann 
		tragen vier Schreinermeister in Berufskleidung die Josef-Statue zur 
		neuen Kapelle. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung weiht Pastor 
		Heinrich Maria Janssen das Gotteshaus.
		
		
Einige Tage nach diesem Ereignis heiraten Hildegard 
		Bergmann und der Unternehmer
		
Siegfried 
		Schreiner. Am 16. Februar stirbt Wettens Hauptlehrer
		
Hermann Alders
		im Alter von 67 Jahren. 38 Jahre lang hat er an der Volksschule in 
		Wetten gearbeitet. Bürgermeister Verheyen, Amtsbürgermeister Plümpe und 
		Amtsdirektor 
		Holtmann danken in einem Nachruf dem verdienstvollen Lehrer für 
		seine Arbeit im Dorf. Ehemalige Schüler schreiben: „Seine vorbildliche 
		Pflichtauffassung, sein hervorragendes Können und seine große 
		Herzensgüte waren die tiefen Quellen, aus denen er uns das geistige 
		Rüstzeug für unser Leben vermittelte.“
		
		„Noch nie zuvor hat Wetten einen solchen Trauerzug erlebt“, heißt es 
		wenige Tage später in der „Rheinischen Post“. Bei der Trauerfeier 
		würdigt Kreisschulrat van Treeck den Verstorbenen als „Vorbild eines 
		wahrhaft christlichen Lehrers“.
		
		
Dann wird mit gemischten Gefühlen in Weeze eine 
		Premiere gefeiert: Kein einziges Verkehrsschild hat es bis dahin an den 
		Straßen der Nachbargemeinde gegeben; alle sind im Krieg verloren 
		gegangen. Nun sollen neue aufgestellt werden, „um den 
		Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen“.
		
		Auf Nummer Sicher geht auch der Kreistag Geldern, als er Ende Februar 
		den neuen Kreisbrandmeister bestellt: Es ist der bisherige - Franz 
		Steckelbruck aus Aldekerk. Er bekommt einen neuen zweiten Mann zur 
		Seite. Stellvertretender Kreisbrandmeister wird Brandmeister und 
		Amtsbürgermeister Peter Plümpe aus Kevelaer.
		
		
		
		
		
		
		
		