
		
		
		März 1950
		
		In Kevelaer lässt sich Dr. Walter Schreiber als praktischer Arzt nieder, 
		nachdem er als Medizinalrat seinen Dienst im Gesundheitsamt des Kreises 
		Geldern quittiert hat.
		
		Zerstört, beschädigt, lückenhaft - so präsentieren sich Teile des großen 
		Kreuzwegs im Marienpark immer noch. Verletzungen durch 
		Artilleriebeschuss und Bombenexplosionen sind, fünf Jahre nach 
		Kriegsende, nicht behoben. Die Schäden sind sogar mutwillig vergrößert 
		worden: Offenbar sind Steine für private Zwecke geklaut worden. 
		
		Pilger, die, wie auf Wallfahrten üblich, den
		
		Kreuzweg beten wollen, laufen hauptsächlich an Trümmern vorbei. Erst 
		jetzt, im März 1950, können die Wallfahrer hoffen, dass der Kreuzweg 
		bald grundlegend renoviert sein wird. Für die Wiederherstellung einiger 
		Stationen haben sich Stifter gefunden.
		
		Die St.-Sebastianus-Bruderschaft will sich um die zehnte Station 
		kümmern, die Kolpingfamilie um die dritte. Hier ist die Figurengruppe 
		relativ wenig beschädigt, während das Stationsgebäude eher einer Ruine 
		gleicht. Es muss abgebrochen und neu aufgebaut werden. Durch Kevelaer 
		läuft eine Welle der Hilfsbereitschaft. Auch Privatpersonen erklären, 
		das Projekt Kreuzwegrenovierung unterstützen zu wollen. Die Zeit drängt: 
		Ende Juni, zur Wallfahrtseröffnung an 
Peter und Paul, soll der 
		Kreuzweg im Wesentlichen hergestellt sein. Und es wird klappen, wie wir 
		noch lesen werden. 
		
		
Die traditionelle Fußfallfahrt aus Gennep hat andere 
		Probleme. Weil der Gruppe der Grenzübertritt verboten wird, muss sie für 
		ihre 300. Jubiläumswallfahrt Umwege von 150 Kilometern im Reisebus 
		nehmen. Normalerweise wäre sie die 25 Kilometer Luftlinie zu Fuß 
		gepilgert. Beim Grenzübertritt werden die Niederländer durch 
		zeitaufwändige Formalitäten schikaniert und stundenlang festgehalten. 
		Den Vorfall nimmt die Amtsverwaltung Kevelaer zum Anlass, beim 
		Bundesverkehrsministerium und der Zollleitstelle zu intervenieren und um 
		Erleichterungen zu bitten.
		
		Die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Berufe (ASB) in Kevelaer, vor dem 
		Krieg eine auch politisch auftretende Unternehmervereinigung, definiert 
		sich bei Wiedergründung Anfang März neu. Die ASB hat nun „einen rein 
		wirtschaftlichen Charakter zur Vertretung und zur Förderung der Belange 
		der ihr angeschlossenen Berufsgruppen“. 
		
		Die Wiedergründung der für Kevelaer bedeutsamen Gruppierung findet im
		
Heidelberger Faß statt. Versammlungsleiter
		
Arnold Dyx betont 
		ausdrücklich die unpolitische Ausrichtung der ASB. Sie sei 
		ausschließlich eine „Interessengemeinschaft für wirtschaftliche Fragen“.
		
		Der erste Vorstand sieht so aus: 1. Vorsitzender Arnold Dyx, 2. 
		Vorsitzender Max Janssen, Geschäftsführer Rechtsanwalt
		
Heinrich van 
		Straelen, Beisitzer Anton Seng, Willi Lawaczeck, Hermann Quinders, 
		Willi Derricks, Alex Jacobs, Heinrich Hermans, Leo Wassen, Anton 
		Hoymann, Peter Rühl, Wilhelm Kösters, Theodor Wilbers, Johann Swart und 
		Johann Ophey. 
		
		
Im Rathaus wird eine wichtige, zukunftsweisende 
		Entscheidung getroffen: Die Stadt kauft das Gelände der Gärtnerei 
		Rogmans zwischen Gelderner und Römerstraße. Auf diesem Areal werden 
		später
		
		Gymnasium und
		
Bühnenhaus 
		entstehen. Kaufpreis: 25.000 Mark. 
		
		Außerdem beschließt der Rat den Kauf eines Grundstücks an der 
		Hubertusstraße, um die St.-Hubertus-Schule erweitern zu können. 
		Abgelehnt wird der Antrag der Firma Hoch- und Tiefbau, die ein 
		Grundstück an der Ladestraße für drei Mark je Quadratmeter von der Stadt 
		kaufen will. Der angebotene Preis sei zu niedrig. 
		
		In der selben Ratssitzung wird Lehrer Johannes Schlösser zum Rektor der 
		Marktschule gewählt.
		
		
Mitte März zieht ein Notkreuz durch Kevelaer. Es ist 
		ein Symbol für den Frieden, das am Niederrhein und darüber hinaus von 
		Pfarrgemeinde zu Pfarrgemeinde in feierlicher Prozession weitergereicht 
		wird. Als es die Wallfahrtsstadt erreicht, wird es von zweitausend 
		Männern der Pfarrgemeinde Kevelaer begleitet: Es ist ein „Siegeszeichen, 
		das helfen möge, die Finsternis zu überwinden und das aufleuchten möge 
		auf dem Weg zur Erlösung aus aller Not und Bedrängnis unserer Zeit“ und 
		ein „heiliges Zeichen des Heiligen Jahres, das zur Buße und Sühne, zur 
		Liebe und zum Frieden mahnt“ (
Heinrich 
		Maria Janssen). Von Kevelaer wird das Notkreuz nach Twisteden 
		getragen.
		
		
Große Freude unter den Sportlern in Winnekendonk: Auf 
		einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des
		
SV 
		Viktoria wird an die Bauunternehmung Hegerath der Auftrag vergeben, 
		den Sportplatz für 1.700 Mark fertigzustellen. Beschlossen werden auch 
		der Kauf von Fußballtoren und der Bau einer Umzäunung, außerdem die 
		Anschaffung einer neuen Vereinsfahne. Die Viktoria ist auch sportlich im 
		Aufwind: Eine zweite Fußballmannschaft wird aufgestellt.
		
		Unterdessen versucht das Land Nordrhein-Westfalen mit einem neuen 
		Landeswohngesetz, des eklatanten Wohnungsmangels Herr zu werden. Das 
		Kreiswohnungsamt und die städtische Wohnungsbehörde in Kevelaer können 
		nun leichter den Bau von Wohnungen in dafür eigentlich nicht 
		vorgesehenen Gebäuden genehmigen. Bis dahin durften sie 
		Ausnahmegenehmigungen nur erteilen, wenn höchstens ein Zimmer geschaffen 
		wurde. Nunmehr können die örtlichen Behörden unabhängig von der 
		Zimmeranzahl selbst darüber befinden, ob sie der „Zweckentfremdung“ 
		zustimmen oder nicht. Das beschert auch Anton Verhoeven viel Arbeit, der 
		zum Leiter des Kevelaerer Bauförderungsamts bestellt wird.
		
		In Twisteden stirbt Pfarrer Anton Kalscheur (68). Der Geistliche, der 
		von 1928 bis 1948 die Gemeinde St. Quirinus betreut hat, wird in 
		Twisteden unter großer Anteilnahme der Pfarrgemeinde zu Grabe getragen. 
		Seinem Wahlspruch („Liebe es, ungekannt zu sein und für nichts geachtet 
		zu werden“) folgen seine Pfarrangehörigen in einem Punkt nicht: Sie 
		achten und ehren ihren Pfarrer für sein mutiges Auftreten während der 
		NS-Zeit, in der er dreimal angezeigt, mehrmals verhört, bedroht und 
		bespitzelt worden ist. Seine Predigten in der dunklen Zeit sind für 
		viele eine wesentliche Stütze gewesen. 
		
		
Eine Badeanstalt der besonderen Art wird Ende März in 
		Winnekendonk in Betrieb genommen. Es sind Wannen im Keller der neuen, 
		vierklassigen 
		Volksschule, die von den Bürgern gegen kleines Entgelt genutzt 
		werden können. Der Service wird gerne in Anspruch genommen, denn wer hat 
		schon ein eigenes Badezimmer zu Hause? 
		
		Der Samstag ist Badetag: Frauen von 14 bis 16.30 Uhr, Männer von 17 bis 
		19 Uhr. Ein Wannbad kostet 30 Pfennig. Wer nur braust, zahlt einen 
		Groschen. Von „sehr starkem Zuspruch“ berichtet eine Zeitung. Bald 
		werden die Badezeiten erweitert.
		
		Die Schule als „Badeanstalt“ erlebt auch Lehrer
		
Heinz Leonardi, 
		der jetzt von der Achterhoeker Schule zu der in Winnekendonk gewechselt 
		ist. Später wird Leonardi Leiter dieser Schule werden.
		
		
Ein Festtag für die evangelischen Christen ist der 
		Sonntag, 26. März. Zum ersten Mal können die Protestanten im 
		Wallfahrtsort die Konfirmation von Jugendlichen angemessen feiern. 
		Dechant Janssen hat ihnen dafür die
		
Beichtkapelle 
		zur Verfügung gestellt.
		
		Die Spuren des Kriegs sind den Menschen nicht nur ins Gesicht 
		geschrieben. Zum gewohnten Bild in den Straßen gehören Kriegsversehrte. 
		Um wie viele es sich handelt, zeigt ein Bericht der Fürsorgestelle des 
		Kreises Geldern für Ende März, in dem aufgelistet wird: „239 Amputierte 
		und 37 Blinde, darunter 121 Oberschenkelamputierte, 63 
		Unterschenkelamputierte, 2 Fußamputierte, 51 Oberarmamputierte, 20 
		Unterarmamputierte, 4 Handamputierte, 8 Doppelbeinamputierte, 1 
		Doppelarmamputierter, 3 Beinamputierte.“ 
		
		Die meisten hätten sich ihre Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg 
		zugezogen.
		
		
April 1950
		
		Am 1. April wird in Kevelaer eine zweiklassige evangelische Schule 
		eingerichtet, die den Namen 
Martin Luther erhält. Mit diesem 
		neuen Schulangebot wird dem durch Flüchtlingszuzug sprunghaft 
		gestiegenen Anteil der evangelischen Christen an der städtischen 
		Gesamtbevölkerung Rechnung getragen. Schon seit 1947 wird in Kevelaer 
		regelmäßig evangelischer Religionsunterricht erteilt. 
		
		
		Die Martin-Luther-Volksschule 
		an der Brunnenstraße. 
		
		Über 80 evangelische Kinder, bis dahin auf die beiden katholischen 
		Schulen St. Antonius und St. Hubertus verteilt, haben nun eine eigene 
		Konfessionsschule. Das Grundstück für die Schule an der Brunnenstraße 
		ist von der evangelischen Gemeinde Weeze gekauft worden. Hier soll das 
		Zentrum der noch zu gründenden evangelischen Gemeinde Kevelaer 
		entstehen. 
		
		Der Lutherische Weltbund schenkt der Gemeinde Weeze den Bausatz einer
		
		Diasporakapelle für Kevelaer, die 1951 als erstes evangelisches 
		Gotteshaus in der Wallfahrtsstadt errichtet werden wird. 
		
		Seit Wochen ist die Gnadenkapelle geschlossen: Sie wird renoviert, zum 
		ersten Mal seit Jahrzehnten generalgereinigt und von den Spuren des 
		Kerzenrauchs befreit. Kunstmaler Josef Pauels leitet die 
		Erneuerungsarbeiten. Jetzt, zum Osterfest, wird die Kapelle wieder 
		geöffnet.
		
		Das ist auch die Zeit, da der Künstler Otto Vorfeld und die 
		Paramentikerin Maria van Ooyen, geb. Mirgel, Witwe des Goldschmieds Jupp 
		van Ooyen, heiraten.
		
		An der Achtkantmühle, eine der schönsten Mühlen am Niederrhein, gelegen 
		zwischen Winnekendonk und Kapellen, drehen sich wieder die Flügel. Die 
		schon 150 Jahre alten, eisernen Schwingen sind verrostet und teilweise 
		gebrochen gewesen. Nun präsentiert sich die Mühle im renovierten 
		Zustand.
		
		Die ehemaligen Soldaten in Kriegsgefangenschaft sind immer wieder Thema 
		in Stadt und Kreis. In der Amtsvertretung Kevelaer wird auf Vorschlag 
		von Amtsbürgermeister
		Peter Plümpe 
		„Protest gegen die unmenschlichen Behandlungen der noch in 
		Gefangenschaft weilenden Gefangenen“ erhoben. 
		
		Die Tagespresse berichtet von „Hunderttausenden 
		deutscher Frauen und Männer, die immer noch gegen jedes Völkerrecht in 
		Sowjetrußland festgehalten werden“. Dazu kommen die 1,5 Million, über 
		deren Schicksal man nichts weiß.
		
		In einer Zeitung wird „Herr H. aus Kevelaer“ zitiert: Im April 1947 ist 
		er zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden „und nach einigen 
		schikanösen Gefängnisaufenthalten“ 6000 km östlich von Moskau in die 
		unmittelbare Nähe der mongolischen Grenze hinter dem Baikalsee 
		verschickt worden. Im Bereich der Stadt Tschita habe er in 
		Lagergemeinschaft mit russischen Kriminellen drei Jahre verbracht. Er 
		habe zu einer Einheit gehört, die zur V-Waffen-Bedienung eingesetzt war. 
		Über die Konstruktionsgeheimnisse dieser Waffe habe er nichts gewusst, 
		aber das habe man ihm nicht geglaubt. Er sei wegen Aussageverweigerung 
		verurteilt worden. Bei bis zu 53 Grad unter Null habe er im Wald 
		arbeiten müssen. Manchem Kameraden seien dabei die Finger erfroren. 
		Dafür seien sie - wegen Sabotage und Schädigung der Arbeitskraft - 
		zusätzlich verurteilt worden.
		
		Eis in Kevelaer - aber von einer völlig anderen Seite: 
		An der Hauptstraße, dort wo Otto Mess untergebracht gewesen ist, 
		eröffnet eine neue „Italienische Eisstube“. Und noch eine 
		Geschäftseröffnung an der Hauptstraße im April: 
		Theo Labonté, der sich in den Wirren der letzten Kriegswochen nach 
		Kevelaer hat durchschlagen können und ab 1946 in einem Mietlokal (Haus 
		Moll) an der Hauptstraße 28 Textilien verkauft hat, eröffnet an der 
		Hauptstraße 40 sein Geschäft, für das er einen Neubau errichtet hat. 
		Labonté handelt vorwiegend mit Stoffen, nimmt bei seinen Kunden Maß und 
		lässt Anzüge schneidern. Seine Dienste werden gerne in Anspruch 
		genommen.
		
		Mit Umzug, Turnier und Feier im Hotel „Weißes Kreuz“ feiert der 
		Reiterverein Kevelaer-Winnekendonk sein 25-jähriges Bestehen. Das Fest 
		ist gerade vorüber, da verunglückt - am vorletzten Tag des April - 
		Mitglied Theodor Heuvens (25) aus Kleinkevelaer tödlich. Während eines 
		Hürdenrennens in Sevelen stürzt er mit seinem Pferd und zieht sich einen 
		doppelten Schädelbruch zu. Im Marienhospital Kevelaer erliegt der Reiter 
		noch am selben Tag den Verletzungen. Mit Theo Heuvens stirbt zugleich 
		der Hoferbe. 
		
		Er ist der dritte Sohn, den die Familie seit Beginn des Kriegs verloren 
		hat.
		
		
		
		
		
		
		
		
		