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		Die raue Wirklichkeit zerstört den Traum von Brigitte Froitzheim, die 
		wie ihre Mutter Johanna Musik studieren will. Statt sich der brotlosen 
		Kunst zuzuwenden, arbeitet die Kevelaererin ab 1. Mai als Sekretärin in 
		den Krefelder Krankenanstalten. Dort wird sie bis zu ihrer Pensionierung 
		bleiben. 
		
		In Kevelaer heiraten am 2. Mai der Buchhändler
		
Franz Bercker 
		vom Kapellenplatz 1 und Maria Brocks.
		
		Die Post erwirbt für 21.000 Mark das Grundstück am Marienpark, auf dem 
		das im Krieg zerstörte
		
		Kreisheimatmuseum gestanden hat. Die Stadt bedingt sich aus, dass 
		noch im laufenden Jahr mit dem Bau des Postgebäudes begonnen wird.
		
		Trauerfall im Haus 
Alt Derp: Der Gast- und Landwirt
		
Wilhelm Stassen 
		stirbt mit 84 Jahren. Wie in dieser Zeit üblich, nennen Witwen ihren 
		eigenen Namen nicht: Es trauern laut Familienanzeige „Wwe. Wilhelm 
		Stassen und Kinder“. Es werden mehrere Nachruf auf die „bekannte und 
		besonders verdienstvolle Persönlichkeit Kevelaers“, der viele Ehrenämter 
		bekleidet hat, veröffentlicht. 
		
		Schon vor dem Ersten Weltkrieg und bis 1933 ist Wilhelm Stassen Mitglied 
		des Gemeinderats gewesen, viele Jahre auch erster Beigeordneter. Länger 
		als 30 Jahre hat er im Kuratorium des Marienhospitals mitgearbeitet, 25 
		Jahre im Kirchenvorstand und als Verwalter der Kirchenländereien. „Mit 
		Wilhelm Stassen verliert die Allgemeinheit Kevelaers eine ihrer 
		markantesten Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte“, heißt es im 
		Nachruf der Stadt. „Der Heimgegangene wird für alle Zeiten zu den 
		Männern zählen, die ihrer Heimatstadt unschätzbare Dienste erwiesen.“
		
		Ein paar Tage danach rollt beim Spiel ein Ball in eine Baugrube an der 
		Ecke der Hubertusstraße mit dem Windmühlenweg. Der 15-jährige Karl 
		Janssen von der Hubertusstraße steigt hinab, um seinen Ball zu holen, 
		und erkennt an einer der glatt abgestochenen Wände eine schwarz 
		verfärbte Stelle. 
		
		Das Abenteuerfieber steigt, als er am Tag darauf mit seinem Kameraden 
		Ernst Bollen aus der Nachbarschaft erneut zum vermuteten Grab 
		hinabsteigt und tatsächlich einen zerbrochenen, als Begräbnisurne 
		erkennbaren Topf mit Knochen und Holzkohleresten birgt. Die beiden 
		Schüler wissen aus dem Unterricht bei Lehrer Werner, wie Gräber aus 
		grauer Vorzeit ausgesehen haben. Den Fund bekommt der Heimatverein für 
		seine Museumssammlung.
		
		Mitte Mai tritt ein neuer Fahrplan der Eisenbahn in Kraft. Der erste von 
		täglich 19 Zügen zwischen Kleve und Krefeld verlässt Kevelaer um 3.38 
		Uhr. Der letzte trifft um 23.12 Uhr hier ein. Zusätzlich fahren 
		NIAG-Busse auf den beiden Linien Kevelaer-Rheinhausen-Duisburg und 
		Kevelaer-Xanten-Wesel. Außerdem sind eine Kraftpost-Linie zwischen 
		Kevelaer und Keppeln, Kevelaer und Wetten sowie eine Omnibuslinie von 
		Kevelaer nach Straelen eingerichtet.
		
		
Kevelaer ist in Feierstimmung. In großflächigen 
		Anzeigen geben die Geselligen Vereine das Programm der gemeinsamen
		
Kirmes 
		bekannt. Sie beginnt am Sonntag, 21. Mai, und dauert bis Mittwoch. Zum 
		Auftakt am Sonntag gibt es ein Konzert. Dann wird der Große 
		Zapfenstreich gespielt. Nach dem Festgottesdienst am Montagmorgen ziehen 
		die Festgemeinde und zahlreiche Bürger zum Rathaus, wo Bürgermeister 
		Peter Plümpe dem Chef des
		
TuS 
		Kevelaer, 
Willy 
		Probst, die Festkette umhängt. An der Zeremonie auf den 
		Rathausstufen wird sich in den folgenden 60 Jahren nur eines ändern: Der 
		Hauptfesttag heute ist der Samstag. 
		
		Die Schausteller haben auf dem Markt Fahrgeschäfte vom Feinsten 
		aufgebaut: Bruchs Riesenrad, Wirges Raupenbahn, Geisterspuk in der 
		Mitternachtsdroschke, eine Segelbootregattabahn, Kebbens Wurstbraterei, 
		American Cake Walk mit Tanzbrücken, Laufriemen und einer Rutschbahn, 
		Kinderkarussell, Schiffschaukel und Tuschs Autoselbstfahrer. Außerdem 
		wird in einer Bude eine 100-jährige Krokodilmutter mit ihren Jungen 
		präsentiert.
		
		Das Kävels Bläche berichtet über „Kevelaers schönste Gemeinsame 
		Kirmesfeier“. Eine Festschrift informiert über den nun 60-jährigen TuS 
		Kevelaer. Er feiert deswegen so ausgiebig, weil sein Goldjubiläum - 1940 
		- wegen des Kriegs ohne Glanz verstrichen ist.
		
		Feiern kann auch die St.-Antonius-Schützengilde. 15 Jahre lang hat sie 
		auf ihr Hauptfest - das Vogelschießen - verzichten müssen. Jetzt treten 
		die Schützen auf dem Gildenkamp an, und Leo Voss wird erster 
		Nachkriegskönig der Gilde.
		
		Die Sebastianer organisieren ein noch größeres Schützenfest, und zwar 
		aus Anlass ihres 350-jährigen Bestehens. Die 
		St.-Sebastianus-Bruderschaft und ihr Ehrenpräsident Jan Baldeau freuen 
		sich, dass Pastor
		
Heinrich 
		Maria Janssen - Premiere für einen Geistlichen in Kevelaer - den 
		ersten Ehrenschuss abgibt. Die Königswürde erringt Hans Wolsing, sein 
		Adjutant wird Karl Lemmen.
		
		Die Bürgerschützen sind ebenfalls wieder aktiv. 110 Jahre ist die 
		Schützengesellschaft nun alt. Franz Plümpe heißt ihr König im 
		Jubiläumsjahr.
		
		Die Sebastianer von Winnekendonk lassen es ebenfalls krachen: Hubert Naß 
		wird Schützenkönig in Winnekendonk.
		
		In Münster wird am letzten Tag im Mai der Kevelaerer
		
Heinrich 
		Polders zum Priester geweiht. In seiner Heimatpfarrei feiert er zehn 
		Tage danach seine Primiz. Die Pfarrei zeigt sich wie eine große Familie. 
		Festlich ist die Hauptstraße geschmückt, groß die Zahl der 
		Pfarrangehörigen, die diesen Feiertag begehen. 
		
		
Juni 1950
		
		Die St.-Antonius-Schule für Knaben erhält zum 1. Juni mit Johannes 
		Schlösser einen neuen Rektor. 
		
		Für Kevelaer stehen wichtige Tage bevor, denn vom 3. bis 11 Juni will 
		das Verkehrsamt der Stadt Kevelaer mit einer Gewerbeschau punkten. Dafür 
		werden das Freigelände von der Wirtschaft Wolsing bis zum Rathaus und 
		der gesamte Marktplatz genutzt. Gezeigt werden landwirtschaftliche 
		Geräte, Autos und Motorräder, Töpfereien und Neuigkeiten wie Waschkessel 
		und Dämpfofen. 
		
		In einem der drei Großzelte werden Bäckereibedarfsartikel, Kühlschränke, 
		Schreibmaschinen, Fahrräder, Küchenmaschinen, Nähmaschinen, Radios, 
		Tontruhen, Verstärkeranlagen, Kübel, Kisten und Bottiche ausgestellt; in 
		einem zweiten Zigarren, Büromaschinen, Bücher, Graphik, Schmuck, Uhren, 
		Schuhe, Porzellan, Herde, Elektroartikel, Sessel, Hocker, Devotionalien 
		und Spezialmaschinen für den Haushalt; in einem dritten komplette 
		Zimmereinrichtungen, Einzelmöbel, Polsterwaren, 
		Holzbearbeitungsmaschinen und wiederum Zigarren. 
		
		Im Gebäude der Marktschule sind Gardinen, Wäsche, Parfums, Kosmetik, 
		Fotoartikel, Kürschnerwaren, Strickkleider, Schuhe, Möbel, Goldarbeiten, 
		Holzschnitzarbeiten, Imkerprodukte, Kinderwagen, Musikinstrumente, 
		Radios, ebenfalls komplette Zimmereinrichtungen und Paramente zu sehen. 
		Jäger stellen eine Trophäensammlung aus, und eine Sonderschau der jungen 
		„Niederrheinischen Werkgemeinschaft“ präsentiert unter anderem heimische 
		Töpferkunst, Teppichwebereiprodukte und Malerei. 
		
		In einem weiteren Zelt geht‘s ums Essen und Trinken, und die 
		Bunkeranlage am Markplatz ist zum Weinproben-Lokal umfunktioniert. 
		
		Das Kävels Bläche nennt die Werbeschau „eine Brücke nach draußen“, die 
		die andere Seite Kevelaers zeige - die andere Seite der Wallfahrtsstadt. 
		Geändert hat sich etwas, wie Amtsdirektor Fritz Holtmann in seinem 
		internen Bericht vermerkt: Für Devotionalien, traditionell ein wichtiger 
		Gewerbezweig in Kevelaer, habe sich nur ein einziger Aussteller 
		gefunden. 
		
		Die Schau zieht rund 20.000 Besucher an. Das wird als Erfolg bezeichnet, 
		auch wenn Kritik unüberhörbar ist: Man hat mit doppelt so vielen 
		Besuchern gerechnet.
		
		Glücklich ist Lehrerin Walburga Wübken, als sie bei der Verlosung 
		während der Gewerbeschau ein Schlafzimmer im Wert von 800 DM gewinnt. 
		Sie schenkt es einer bedürftigen Flüchtlingsfamilie, die an der 
		Maasstraße wohnt. 
		
		
		
Ehemaliger 
		Bunker auf dem Marktplatz. 
		Foto: Herbert Cürvers, Die Bunker von 
		Kevelaer
		
		Und es wird weiter gefeiert in Kevelaer. Der Sportplatz 
		an der Kroatenstraße ist rechtzeitig zum 60-jährigen Jubiläum des TuS 
		fertig geworden und wird jetzt eröffnet. Die Vereinsmitglieder haben 
		doppelten Grund zur Freude, denn auch die Turnhalle an der 
		Kroatenstraße, im Krieg stark beschädigt und restlos geplündert, ist in 
		Gemeinschaftsarbeit wieder hergestellt worden.
		
		Was in dieser Zeit die Menschen bewegt, beschreibt Iris Putt, geb. 
		Büttner, in einem Brief an das KB (2005): 
		
		► „Kevelaer hatte uns Kindern und 
		Jugendlichen so viel zu bieten. Wir hatten die wunderbare Badeanstalt - 
		damals noch nicht betoniert -, in der wir jede freie Minute verbrachten. 
		Scheinbar schien immer die Sonne, und wir gingen sogar schwimmen, wenn 
		es regnete. Es war ein ziemlich weiter Weg von der Wasserstraße. Wir 
		waren in fünf Minuten zu Fuß in der Turnhalle und auf dem Sportplatz, wo 
		wir mit Leidenschaft mitgemacht haben. Ich denke so oft daran, was für 
		gute Stadtväter wir hatten (Peter Plümpe, Josef Aengenheyster usw.), die 
		uns das alles ermöglichten, und dass so ein kleines Städchen (damals 
		11.000 Seelen) so gut versorgt war. Ich denke auch oft an all die 
		freiwilligen Helfer in der Turnhalle, der Badeanstalt und auf dem 
		Sportplatz an der Kroatenstraße, die ihre Freizeit den Jugendlichen 
		opferten. Ich erinnere mich an Wilma Kösters (Turnen), Häns van Büren 
		(Turnen), Theo Kirchhoff (Leichtathletik) und viele, viele andere. Ich 
		erinnere mich an eine Jahreshauptversammlung des TuS Kevelaer, als die 
		Frau eines der Brüder Douteil über ihren Mann sagte, er wäre ‘mehr TuS 
		als t’hüss’. Wir fuhren sonntags in Lkws zu Wettkämpfen in der Umgebung 
		- und sangen die ganze Zeit.“
		
		Erinnerungen an Kardinal von Galen werden wach, als am 
		5. Juni die westdeutschen Bischöfe in Kevelaer ein Bischofskonveniat 
		abhalten - so wie in den dunklen Jahren unter Federführung des 
		Münsteraner Bischofs. 
		
		Im 
		Marienhospital wird ein weiteres Jubiläum begangen. Am 10. Juni 
		jährt sich zum 25. Mal der Tag, an dem
		
		Schwester Hermenegildis nach Kevelaer gekommen ist. Sie hat 
		inzwischen die Verwaltung des Krankenhauses inne. In Dankworten an die 
		Ordensfrau werden die Schwierigkeiten nachgezeichnet, die der 
		Wiederaufbau nach dem Krieg bereitet hat. „Wenn das Marienhospital in 
		Kevelaer über die Grenzen unserer Stadt hinaus auch im Lande draußen 
		einen guten Ruf hat, dann ist das zu einem guten Teil auch der 
		umsichtigen und klugen Arbeit von Schwester Hermenegildis zu verdanken“, 
		heißt es in einer Laudatio über die spätere Ehrenbürgerin Kevelaers.
		
		Iris Putt, deren Brief wir gerade zitiert haben, beginnt am 15. Juni 
		eine Lehre bei
		Butzon & 
		Bercker. Schon bald beherrscht sie Stenografie und 
		Maschinenschreiben und ist auch erfolgreich als Mitglied des Kevelaerer 
		Stenografenvereins „unter der liebevollen Leitung von Hedwig Camps, 
		unserer ‘Stenografenmutter’“. Zahlreiche Pokale bringen die Kevelaerer 
		Stenografen von Wettkämpfen nach Hause. Gefeiert werden die Erfolge beim 
		Stammtisch im „Müden Pinsel“ an der Hauptstraße. Iris Putt kann sich 
		sogar für die Weltmeisterschaft im Maschinenschreiben in Wiesbaden 
		(1961) qualifizieren. Als Sekretärin von Ernst Otterbeck und seinem 
		Prokuristen Theo Kothes wird sie später zur Kervenheimer Schuhfabrik 
		wechseln.
		
		Im fernen Amerika wird Mitte Juni ein Kevelaerer besonders geehrt: Die 
		Rechtsfakultät der Jesuiten-Universität in Boston verleiht Dr. jur. et 
		rer.pol Heinrich Rommen, Professor am St. Thomas College in St. Paul, 
		den Doktor der Rechte honoris causa. Rommen hat 1938 Deutschland aus 
		politischen Gründen verlassen müssen und ist in die USA ausgewandert.
		
		Schlagartig kippt in der Bundesrepublik die Stimmung um. In Korea droht 
		Krieg, und die Deutschen haben Angst, ein dritter Weltkrieg könnte 
		ausbrechen.
 
		
		
		
		
		
		
		
		